Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
sehnte sie sich nach der Wärme und dem beschaulich eintönigen Alltag in der Herdküche der Bastei, nach den trägen Mägden und den frechen Küchenburschen, ja sogar nach den sich ständig zankenden Kindern, die sie mit ihrem Toben und Lärmen so oft zur Verzweiflung getrieben hatten.
Wie konnte sie sich nur auf ein solches Abenteuer einlassen? Warum nur hatte sie den vertrauten Herd verlassen, um in der Ferne Gewissheit über das Schicksal eines Jungen zu erlangen, der nicht einmal ihres Blutes war?
Womit hatte sie es verdient, dass das Schicksal ihr diese Prüfung auferlegte?
Die vermeintlich eintönige Reise zwischen Fässern und Vorräten war zu einem mörderischen Unterfangen geworden, das selbst die erfahrenen Kämpen der Eskorte an die Grenzen der Belastbarkeit trieb und das eine alternde und korpulente Herdmeisterin, wie sie es war, gänzlich überforderte.
»Ich habe mich aufgemacht, um Abbas zu suchen«, sagte sie leise zu sich selbst, während ein weiterer Donnerschlag die Luft zerriss und ein plötzlicher Hagelschauer über die Landschaft fegte. Ein tiefer Seufzer entfloh ihren Lippen. »Vielleicht ist es Asnars Wille, dass ich ihm schneller als erwartet begegne.«
Grau und wolkenverhangen zog der neue Morgen über dem Tal der Vaughn herauf. Ein fahles Licht, trübe und bedrückend, strich über die Wiesen und Wälder und drängte die Dunkelheit westwärts, während das Leben im Tal langsam erwachte.
Es war noch immer sehr mild, als Ajana mit ihrer wenigen Habe die Höhlen verließ, um sich mit Keelin, Bayard, Inahwen und den anderen zu treffen. Doch anders als am Tag zuvor wollte sich die Sonne nicht zeigen. Dafür spürte Ajana einen feinen Nieselregen auf der Haut. Seufzend schaute sie zum Himmel hinauf und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um die feuchte Kühle der winzigen Tropfen auf ihrem Gesicht zu spüren. Der Regen entsprach ihrer niedergedrückten Stimmung und das Wasser der winzigen Regentröpfchen sammelte sich auf ihrer Haut zu den Tränen, die sie sich selbst nicht mehr gestattete.
Die ganze Nacht hatte sie allein in der Abgeschiedenheit der kleinen Schlafhöhle verbracht, traurig und mit der Ungerechtigkeit des Schicksals hadernd, das ihr diese neuerliche Prüfung auferlegte. Sie hatte kaum geschlafen und viel nachgedacht.
Einmal hatte Inahwen vorbeigeschaut, um ihr Mut zuzusprechen, aber Ajana war nicht nach reden zu Mute gewesen, und sie hatte die Elbin höflich, aber bestimmt abgewiesen. Maylea und Keelin hatten ebenfalls ihre Gesellschaft angeboten, aber auch hiergegen hatte sie sich gesperrt, obwohl sie sich eigentlich sehr nach der Nähe des jungen Falkners sehnte.
Es war eine lange und qualvolle Nacht gewesen. Eine Nacht voller Tränen und Kummer, die schließlich in trotziger Einsicht endete. Als der Morgen graute, hatte sich Ajana so weit mit dem Schicksal versöhnt, dass sie bereit war, sich der Herausforderung zu stellen. Entschlossen hatte sie sich angekleidet, ihre Habe zu einem Bündel geschnürt und die letzten Tränen mit klarem Felsquellwasser fortgespült, ehe sie sich auf den Weg gemacht hatte. Keiner sollte bemerken, dass sie geweint hatte.
Auch Inahwen, Keelin, Bayard und die beiden anderen Heermeister hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen. Gemeinsam mit Ylva und zwei Vaughn-Kriegern standen sie an dem vereinbarten Platz und warteten auf die anderen. Im ersten Augenblick fürchtete Ajana, sie sei zu spät, sah dann aber erleichtert, dass auch Maylea noch nicht eingetroffen war.
Nach einer kurzen Begrüßung stellte sie sich neben Keelin, der ihr ein liebevolles Lächeln schenkte und wie selbstverständlich den Arm um ihre Schultern legte.
Ajana errötete und schaute sich beschämt um, doch obwohl alle es sehen mussten, schien sich niemand an der zärtlichen Geste zu stören. Im Gegenteil, Inahwen lächelte und nickte wohlwollend, als sie Ajanas schüchternen Blick bemerkte, und Bayard zwinkerte ihr so aufmunternd zu, als wolle er sagen: Na endlich, darauf habe ich schon lange gewartet. Ajana nahm die offensichtliche Zustimmung erleichtert auf und schmiegte sich vertrauensvoll an den jungen Falkner. An seiner Seite verloren die Gefahren der bevorstehenden Reise für den Augenblick ihren Schrecken, und es gelang ihr sogar, ihrem erzwungenen Aufenthalt in Nymath eine gute Seite abzugewinnen.
Endlich kam auch Maylea. Die junge Wunand trug wieder die traditionelle und enge, dunkle Lederkleidung der Amazonen, wenngleich die
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