Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
auf die Höhle, während er unentwegt den Lederriemen seines Proviantbeutels in den Händen knetete.
»Reiß dich zusammen!«, fuhr Maylea ihn an. »Noch ist nichts verloren.« Mit forschem Schritt schloss sie zu Kruin und Ajana auf, die Hand fest am Heft ihres Kurzschwertes, den Blick voller Hass nach vorn gerichtet. »Worauf wartet ihr?«, fragte sie knapp. »Dass Vhara euch persönlich hineinbittet?« Sie machte einen Schritt auf die Höhle zu und sah sich noch einmal um. »Sie weiß, dass wir kommen. Wenn sie uns hätte töten wollen, hätte sie das schon längst getan. Dass wir noch am Leben sind und der Mondstein uns nicht in die Irre führte, kann nur eines bedeuten: Sie erwartet uns!«
Dicht beieinander betraten sie die Höhle. Keiner von ihnen wusste, was sie darin erwarten würde, und so tasteten sie sich langsam und mit vorsichtigen Schritten voran.
Die Höhle war gewaltig: ein riesiger schwarzer, von gleißendem Feuer erhellter Felsendom, dessen Kuppel sich so weit über ihren Köpfen spannte, dass sie seine Höhe nicht zu ermessen vermochten. Das matte Schwarz des Bodens unter ihren Füßen schimmerte rötlich im Licht des Wehlfangs, der inmitten der Höhle in pulsierenden Stößen aus der Tiefe der Erde hervorquoll und sich als glühender Fluss seinen Weg nach draußen bahnte. Hier also begann die lange Reise des geheimnisvollen flüssigen Feuers, das der Lava, die Ajana aus ihrer Welt kannte, so täuschend ähnlich war und doch um ein Vielfaches zerstörerischer wirkte.
Ajana nahm das Amulett ab und hielt es fest in der Hand. Sie war am Ziel. Bald schon würde sich entscheiden, ob sie kraft ihres Erbes dazu fähig war, die Runen anrufen, um einen Zauber zu weben, der die Magie der Hohepriesterin widerrief und ihre Verbindung zu den Feuerkriegern zu zerstören vermochte. Einen Eiszapfen vielleicht, herbeigerufen durch Isaz, den sie als Schwert oder Speer einsetzen konnte, um die magischen Bande zwischen der Priesterin und den Kriegern zu durchtrennen, oder eine eisige Starre, die jegliche Magie einfror. Inahwen hatte sie in der Bedeutung der Runen unterwiesen, aber sie war nicht so erfahren im Umgang mit der Magie wie eine Elbenpriesterin. Dennoch hatte sie Ajana hilfreiche Hinweise geben können. Ob es ausreichen würde, Vharas Magie zu vernichten, vermochte jedoch auch sie nicht zu sagen.
»Das Leben ist doch voller Überraschungen.« Der herablassende Spott in den Worten riss Ajana aus ihren Gedanken. Sie blickte sich um und erkannte Vhara, die wie aus dem Nichts nahe der Quelle des Wehlfangs auf einer Erhebung aus erstarrter Schlacke stand. Das unheimliche Licht des flüssigen Feuers warf zuckende Schatten auf ihr Gesicht und ließ sie noch unheimlicher erscheinen, während sie mit dem gestohlenen Stab der Elben in der Hand auf die fünf herabschaute. »Ihr habt euch Zeit gelassen«, stellte sie fest.
»Es kommt nicht darauf an, wie lange wir dich suchen mussten.« Wie abgesprochen traten Inahwen, Kruin, Maylea und Abbas schützend vor Ajana, die mit klopfendem Herzen versuchte, sich auf das Amulett zu konzentrieren. »Was zählt ist, dass wir dich fanden.«
»Fanden?« Vhara lachte schallend, und wie um ihre Verachtung zu unterstreichen, schossen im selben Augenblick überall aus dem Boden feurige Fontänen in die Höhe. »Glaubt ihr wirklich, dass ihr mich gefunden habt?« Sie schüttelte den Kopf. »Ihr Narren! Ich selbst habe euch hierher geführt!«
In der Höhle war es jetzt so heiß, dass Ajana glaubte, bei jedem Atemzug vor Schmerzen aufschreien zu müssen. Die Hitze lähmte ihre Gedanken und hinderte sie daran, die Macht der Runen anzurufen.
»Warum?«, hörte sie Inahwen fragen, die Zeit gewinnen wollte. »Du hasst uns. Warum hast du uns nicht längst getötet?«
»Weil ihr etwas besitzt, nach dem es mich verlangt!«, erwiderte Vhara kühl. »Aber du hast Recht, Elbin. Als Herrin über die Elemente, hätte ich euch längst vernichten können.« Sie lächelte boshaft. »Erinnerst du dich an den Sandsturm, der zweien von euch das Leben kostete?«, fragte sie kalt lächelnd. »Eine kleine Spielerei, ein Zeitvertreib, um es euch nicht allzu leicht zu machen. Ihr solltet euch schließlich wie echte Sieger fühlen.« Ihre Stimme gewann an Kraft, als sie weitersprach. »Doch die Zeit der Spielchen ist nun vorbei. Von nun an gibt es keine scheinbaren Siege mehr und auch keine Gnade. Ein Zeichen von mir genügt, und diese Höhlen und Tunnel werden sich zum Bersten mit glühender
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