Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Band zwischen Vhara und den Feuerwesen nicht mehr besteht, werden sie verwundbar. Dann …«
»Und ich war die ganze Zeit in dem Glauben, ich sei nur mitgekommen, um Euch den Weg zu weisen.« Ajana sah die Elbin bestürzt an. »Warum habt Ihr mir das verheimlicht?«
»Ylva und ich hielten es für sicherer, wenn du es erst am Ende der Reise erfährst.« Inahwen sah Ajana an. »Verantwortung belastet, und eine Last zu tragen macht schwach. Du zweifeltest schon daran, dass es dir gelingen würde, den Mondstein anzurufen. Das Wissen um das wahre Ausmaß der Aufgabe hättest du über den langen Weg nicht zu ertragen vermocht.«
»Und wenn ich unterwegs umgekommen wäre?«, fragte Ajana. »Wenn ich und nicht Tarun im Sandsturm verschollen wäre?«
»Dann wäre Nymath verloren!« Inahwen ergriff Ajanas Hand und sah ihr fest in die Augen. »Ylva glaubt an dich«, sagte sie ernst. »Die Magun glaubt an dich. Ich glaube an dich – und auch Bayard glaubte an dich. Die Eisrune Isaz vermag nicht nur die Magie des Feuers zu brechen, sie steht auch für die Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten. Hab Vertrauen. Ich bin sicher, Gaelithil wird dir zur Seite stehen, wenn es so weit ist.«
Ajana schwieg. Was Inahwen ihr offenbarte, war ungeheuerlich. Doch langsam wurde ihr bewusst, dass sie es schon die ganze Zeit über vermutet hatte. Und obwohl sie sich fürchtete, wusste sie, dass sie es versuchen würde. Zu viele hatten ihr Leben gegeben, um Nymath zu retten. Selbst wenn sie es gewollt hätte: Sie konnte nicht mehr zurück!
Wenn es eine Hölle gibt, dachte Ajana, dann muss sie so aussehen wie diese Höhlen im Herzen des Wnutu. Seit sie nach Nymath gekommen war, hatte sie schon vieles gesehen, das ihr Angst machte, aber die rot erleuchteten, von glühenden Lavaströmen durchflossenen Felsengänge waren Furcht erregender als alles, was ihr bisher begegnet war. Der ganze Berg schien in seinem Innern ein einziges, weit verzweigtes Tunnellabyrinth zu sein, das sich, vom Jahrtausende währenden Strom der Lava ausgewaschen, immer wieder zu kleinen und großen Höhlen erweiterte. Unzählige Risse und Spalten, die oft bis zum Rand mit glühender Lava gefüllt waren, durchzogen den Boden. Häufig konnten sie den Weg nur durch einen beherzten Sprung oder einen gewagten Schritt fortsetzen. Ohne das Licht des Mondsteins hätten sie sich längst hoffnungslos verirrt, doch Raido wies ihnen so unerschütterlich den Weg, dass Ajana sich bald fragte, ob sie wohl auch wieder hinausfinden würden.
Es war heiß. Unerträglich heiß.
Erschöpft wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn. Die dünnen Gewänder klebten ihr schwer auf der Haut, und immer wieder raubten ihr die rinnenden Schweißtropfen die Sicht.
Einmal kam ihr der Gedanke, dass sich die Hohepriesterin ihnen gar nicht stellen würde. Wenn Vhara sie lange genug durch die Höhlen irren ließ, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie verdursteten oder vor Erschöpfung tot umfielen. Dennoch setzte sie den Weg unbeirrt fort.
Irgendwann, nach einer Zeit, die niemand zu ermessen vermochte, legten sie eine Rast ein. Sie hatten ihre Vorräte mitgenommen, aber niemand hatte Hunger. Auch Gespräche kamen keine auf. Die allgegenwärtige Hitze und der immer unerträglicher werdende Schwefelgestank legten sich wie ein betäubender Schleier auf ihre Seelen und machten sie schläfrig.
Keelin saß neben Ajana. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und sah so erschöpft und elend aus, wie Ajana sich fühlte. Als er ihrem Blick begegnete, lächelte er, doch der Versuch, zuversichtlich zu wirken, scheiterte kläglich. »Ziemlich heiß!«, versuchte er verkrampft ein Gespräch zu beginnen und fragte dann: »Wie lange mag es wohl her sein, dass der Wnutu ausgebrochen ist?«
Ajana sah ihn an. »Ich bin doch kein Geologe«, erwiderte sie eine Spur unfreundlicher als beabsichtigt. Der unwirsche Tonfall tat ihr augenblicklich leid, aber die Hitze setzte ihr arg zu und machte es ihr unmöglich, gelassen zu antworten.
Aber die Frage, so belanglos sie zunächst wirkte, weckte ganz unvermittelt einen Gedanken in ihr. Einen furchtbaren Gedanken, bei dem sie trotz der Hitze fröstelte. Unbewusst rieb sie sich mit den Händen über die Arme, doch das konnte die Kälte, die sie erfasst hatte, nicht vertreiben. Das, was sie spürte, war keine Kälte, es war Angst. Angst vor ihren eigenen Gedanken und davor, dass ihre Befürchtungen schon bald furchtbare Wahrheit werden könnten.
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