Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Verunsichert sah sie sich um, in der Hoffnung, sich zu irren, doch was sie entdeckte, stachelte ihre Furcht nur noch weiter an.
»Was ist mit dir?«, fragte Keelin.
»Wir müssen weiter, schnell!« Ajana raffte ihr Bündel an sich. Mit einem kurzen Blick vergewisserte sie sich, dass es dem Lavinci gut ging, dann erhob sie sich.
»Du hättest es nicht mitnehmen sollen«, meinte Keelin, dem ihr besorgter Blick nicht entgangen war.
»Damit Horus da draußen etwas zu fressen hat?«, schnappte Ajana und ärgerte sich sogleich über ihren bissigen Ton. Aber da waren die Worte schon heraus. »Tut mir Leid«, sagte sie schnell. »Ich wollte dich nicht verletzen. Aber ich habe furchtbare Angst.«
»Angst?« Keelin lachte freudlos. »Da bist du wahrlich nicht die Einzige.«
»Nein, das meine ich nicht«, beeilte sich Ajana zu erklären. »Es ist nicht so, wie du denkst. Es sind nicht die Höhlen, die Enge und die Hitze, es ist …« Sie hockte sich wieder hin und senkte die Stimme, als sie weitersprach. »Ich habe nachgedacht«, sagte sie und sah Keelin eindringlich an. »Vhara hat den Sandsturm heraufbeschworen, da bin ich mir ganz sicher. Selbst Kruin war der Ansicht, dass es kein gewöhnlicher Sandsturm war. Erinnerst du dich, dass Vhara sagte, sie beobachte uns schon lange? Sie weiß es, Keelin. Sie weiß, dass wir hier im Berg nach ihr suchen werden.«
»Und?«, fragte Keelin. »Was willst du damit sagen?«
»Siehst du das?« Ajana deutete auf einen Riss in der Wand.
»Ein Riss«, stellte Keelin überflüssigerweise fest. »Was ist daran so Besonderes? Hier gibt es Tausende von Rissen im Gestein.«
»Er ist neu.« Ajana war selbst erstaunt, wie nüchtern ihr die Worte über die Lippen kamen.
»Neu? Ich denke, du bist kein Geo…«, Keelin stockte, dann fragte er: »Woran erkennst du das?«
»Weil er gerade eben noch nicht so groß war und dort oben endete.« Ajana deutete auf eine Stelle in der Wand.
»Das ist unmöglich.« Keelin schüttelte den Kopf. »Das hätten wir hören müssen.«
»Und wenn wir es nicht hören sollten?« Ajana sah Keelin scharf an. »Weil das Ganze hier eine heimtückische Falle ist?«
»Unsinn!« Keelin schüttelte den Kopf. »Dieser Vulkan hat Tausende Winter gesehen. Die Hohepriesterin kann ihn nicht …«
»Wer einen Sandsturm beschwören kann, der kann auch einen Vulkan zum Ausbruch bringen«, unterbrach Ajana Keelin. »Ich bete darum, dass ich mich irre, aber ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Sie weckte die anderen aus dem leichten Schlummer, mit dem sie der Hitze und Erschöpfung Tribut zollten, und berichtete ihnen eilig von ihrem furchtbaren Verdacht. Keiner widersprach ihr, und so kam es, dass sie die Suche schneller als geplant fortsetzten. Wenn Ajana mit ihrer Vermutung Recht behielt, bestand ihre einzige Hoffnung darin, Vhara zu finden, bevor sie den Zauber vollendete.
Es dauerte nicht lange, da hörten sie ein erstes Rumoren im Felsgestein. Alle hielten erschrocken inne und lauschten, doch das Geräusch wiederholte sich nicht – jedenfalls nicht sofort.
Bald aber begleitete sie das unheilvolle Rumoren auf ihrem Weg durch die feurigen Höhlen; es wurde lauter und kräftiger und schürte in ihnen die Furcht vor dem nahenden Unheil. Es trieb sie aber auch zur Eile an und ließ sie Hindernisse überwinden, die sie sonst vermutlich umgangen hätten.
Sie waren noch nicht einmal eine Stunde unterwegs, als Kruin plötzlich innehielt. Er fasste Ajana warnend am Arm, während er mit der anderen Hand nach vorn deutete. Ajana folgte der Geste mit wachem Blick und erkannte, dass sich vor ihnen eine gewaltige Höhle auftat. Sie wurde von einem breiten Feuerstrom in zwei Hälften geteilt, dessen Glut die ganze Halle in ein unheimliches rotes Licht tauchte.
Der Wehlfang!
Ajana wollte etwas sagen, doch Kruin legte mahnend den Finger auf die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen.
Und dann hörte sie es. Über das Rauschen des feurigen Flusses hinweg drang eine leise Frauenstimme zu ihnen, die in einer fremdartig anmutenden Sprache eine monotone Litanei hersagte.
»Vhara!«, flüsterte Ajana mit bebender Stimme.
»Sie ist im Herzen des Wnutu, an der Quelle des Wehlfangs.« Kruin deutete mit einem Kopfnicken auf die Höhle. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch ein jähes Dröhnen übertönte seine Stimme.
»Emo sei uns gnädig, wir kommen zu spät«, hörte sie Abbas ausrufen. Der junge Wunand war aschfahl im Gesicht. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er
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