Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
sagte sie und fügte hinzu: »Aber mitten im Winter ist es sicher nicht sehr angenehm für die Krieger dort.«
»Wird Horus die Festung im Dunkeln denn finden?«, fragte Ajana besorgt.
»Die schneebedeckten Berge sind in der Nacht nicht ganz so dunkel wie der nackte Fels«, meinte Inahwen, als Keelin nicht antwortete. »Sicher wird er den Weg auch an den vertrauten Formen der Gipfel erkennen.«
Ajana nickte stumm. Zu gern wollte sie den Worten der Elbin Glauben schenken, doch es dauerte noch endlose Minuten, ehe sie Keelin endlich erleichtert sagen hörte: »Das Falkenhaus! Gilian sei Dank, er hat es geschafft!«
Die Nacht flog unter den Hufen der Talpungas dahin. Ein neuer Morgen graute, und die sengende Hitze, die der Dämmerung folgte, bescherte den müden Reitern eine weitere Rast, während die Sonne den Zenit überschritt. Den folgenden Abend und die Nacht verbrachten sie wieder zwischen den Höckern der Talpungas sitzend, die unermüdlich nach Süden strebten.
Ajana hatte das Gefühl, sich niemals in ihrem Leben auf eine andere Weise fortbewegt zu haben. Obwohl sie den Umhang und die Decke als Polster über den Rücken des Talpungas gelegt hatte, litt sie inzwischen unter den Scheuerstellen, die bei jeder Bewegung schmerzten. Und sie war müde. Todmüde. Immer wieder fielen ihr die Augen zu, und immer öfter glitt sie in einen kurzen, traumlosen Schlummer. Um sich wach zu halten, sah sie sich im Mondschein um, doch die Wüste mit ihren endlosen Sanddünen bot ihr immer wieder nur das gleiche, eintönige Bild, bis plötzlich …
Ajana erschrak. Da war etwas!
Ein Schatten?
Sie blinzelte. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen.
Tatsächlich! Für den Bruchteil eines Augenblicks fiel ihr Blick auf eine schemenhafte Gestalt, die die Gruppe vom Kamm einer Sanddüne aus zu beobachten schien. Doch schon einen Wimpernschlag später war sie verschwunden.
Ajanas Herz raste. Sie hatte die Gestalt nur ganz kurz wahrgenommen, hatte aber das vage Gefühl, ihr schon einmal begegnet zu sein. Den Mann mit dem großen Hut und dem schwarzen Umhang! Der geheimnisvolle Fremde, den sie damals am Bahnübergang und auch in der Festung am Pass gesehen hatte!
War das möglich? Oder spielten ihr die müden und überreizten Sinne einen üblen Streich? Ajana starrte so lange auf die Düne, bis sie hinter ihr zurückblieb, doch die Gestalt zeigte sich nicht mehr.
»Das ist wohl alles ein bisschen zu viel für mich«, murmelte sie leise vor sich ihn, wohl wissend, dass sie der Wahrheit damit sehr nahe kam. Sie war keine Abenteurerin und schon gar keine Heldin. Sie war einfach nur Ajana, nicht mehr und nicht weniger. Und wenngleich in ihren Adern ein winziger Anteil elbischen Blutes floss, so hatte auch ihre Belastbarkeit Grenzen – und diese Grenzen waren so gut wie erreicht. »Wie weit ist es noch?«, rief sie Kruin zu, der vor ihr ritt.
»Seht Ihr das feurige Leuchten?« Der Uzoma deutete nach Westen, wo der Himmel jede Nacht im glühenden Rot des Wehlfangs erstrahlte, und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort: »Dort hinten am Horizont, wo die Linie unterbrochen ist, stürzt der Arnad in den Wehlfang. Es ist nicht mehr weit. Wenn die Sonne aufgeht, haben wir den Fluss erreicht.«
Kruin behielt wiederum Recht. Als es dämmerte, wich die monotone Wüstenlandschaft allmählich jener von Sand und Geröllmassen bedeckten Steppe, die Ajana schon von den südlichen Ufern des Flusses her kannte.
Sie reckte sich, um besser sehen zu können – und wirklich: Im ersten Licht des Morgens entdeckte sie am Horizont die milchig weiße Linie des Nebels – jener tödlichen Magie, die sie geschaffen hatte und die unerschütterlich über den Fluten des Arnad stehen würde, bis … Sie wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu führen.
Später, ermahnte sie sich im Stillen, dafür ist später noch Zeit genug. Zunächst gilt es, die Feuerwesen zu vernichten.
Die Krieger waren erschöpft.
Die Kleidung und die Gesichter der Männer und Frauen, die auf den niedergebrannten Gehöften seit geraumer Zeit unermüdlich ihren Dienst verrichteten, waren rußgeschwärzt, die Mienen von der harten Arbeit und dem fortwährenden Mangel an Schlaf gezeichnet. Viele von ihnen hatten Verletzungen erlitten und waren von Brandwunden entstellt, doch aufgegeben hatten sie nicht.
Beharrlich hatten sie in den nahen Wäldern Holz geschlagen und Astwerk und Stämme herbeigeschafft, um das Feuer am Brennen zu halten. Als die Wege zu weit wurden, hatten
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