Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
sie damit begonnen, auch die unversehrten Schuppen und Scheunen der Gehöfte Stück um Stück abzutragen und zu verbrennen, bis nichts mehr an sie erinnerte.
Der Boden rings um die Brandherde war inzwischen kniehoch mit flockiger Asche bedeckt, der Wald in einem erschreckend weiten Umkreis gerodet.
Wo sich vor kurzem noch ein von Leben erfülltes Gehöft mit Ställen, Scheunen und einem Wohnhaus erhoben hatte, war nichts geblieben außer verbrannter Erde.
Der Anblick stimmte Kelda traurig. Die Zerstörung war vollkommen. Wer immer diesen Ort einmal sein Heim genannt hatte, stand vor dem Nichts – vermutlich war es sogar noch weniger. Aber die Herdmeisterin verspürte nicht nur Trauer, sie verspürte auch einen großen Stolz auf die Krieger, die so wacker durchgehalten hatten. Ihnen allein war es zu verdanken, dass die Gefahr, die von den geheimnisvollen Feuerkriegern ausging, im Zaum gehalten werden konnte und den Bewohnern Nymaths eine verheerende Katastrophe erspart blieb.
Umso unverständlicher war es der Herdmeisterin, dass das Feuer am Abend gelöscht werden sollte. Wie, in Asnars Namen, kam Gathorion auf einen solch absurden Gedanken? Wenn die Krieger das Feuer löschten, würde sich das Wesen, das darin schlummerte, erneut aus der Asche erheben und sich auf die Suche nach einem neuen Herdfeuer machen, dessen Haus es zerstören konnte. Dann wäre alles vergebens, was die Krieger hier geleistet hatten.
Kelda seufzte. Was war das nur für ein unsinniger Befehl, den ein Falke am vergangenen Abend gebracht hatte? Was glaubten die Heermeister dadurch zu gewinnen?
Diese und andere Fragen gingen ihr durch den Kopf, während sie die Krieger beobachtete. Die Männer und Frauen hatten das Holzschlagen im Morgengrauen eingestellt und damit begonnen, unzählige Kübel mit Wasser zu füllen. Als auch diese Arbeit getan war, hatten sie sich bei einsetzendem Schneefall einen trockenen Platz in der Nähe der warmen Feuerstelle gesucht. Sie aßen, tranken oder unterhielten sich leise miteinander, während sie auf den Abend warteten, um Gathorions Befehl auszuführen.
»Bist du bereit?« Inahwen blickte Ajana aufmerksam an.
Ajana nickte ernst. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie glaubte, ein jeder um sie herum könne es hören. Mit dem Amulett in den Händen stand sie im verlöschenden Licht des Tages am Ufer des Arnad und betete darum, dass ihr gelingen möge, was sie mit Inahwen den ganzen Nachmittag über in ausführlichen Gesprächen ersonnen hatte.
Mithilfe der Runen im Amulett wollte sie versuchen, in den Nebeln die Illusion eines so gewaltigen Feuers zu erschaffen, das die Feuerkrieger von weither anlocken würde. Es war ein verzweifelter Versuch. Nachdem die Magie der Runen im Herzen des Wnutu versagt hatte, plagten Ajana heftige Zweifel, ob ihr das Vorhaben hier gelingen würde. Alle wussten, dass es die einzige Möglichkeit war, den unsterblichen Geschöpfen die Seelen zu rauben, aber die Zeit drängte, und sie hatte nur einen einzigen Versuch.
Am Nachmittag war Horus mit der Botschaft zurückgekehrt, dass alles vorbereitet sei. Mit Anbruch der Nacht würden die mehr als zwei Dutzend Feuer in Nymath gelöscht sein. Dann – und das stand außer Frage – würden sich die Feuerkrieger aus der erkaltenden Asche erheben und sich auf die Suche nach neuen, wärmenden Feuerstätten begeben. Wenn es ihr bis dahin nicht gelang, die Illusion zu erschaffen, würden sich die Brände unweigerlich in Nymath ausbreiten und verheerende Schäden anrichten.
Ein letztes Mal betrachtete Ajana die Runen des Amuletts.
Diesmal hatte sie kein Lied, das die Magie begleiten würde, und sie konnte auch nicht auf Gaelithils Hilfe bauen. Den Zauber, den sie weben wollte, hatte es zuvor nie gegeben. Das Amulett und die Macht der Runen mussten von ihr selbst zum. Leben erweckt werden. Nur wenn sie dies vollbrachte, würde auch die Illusion gelingen.
Ein rascher Seitenblick zeigte Ajana, dass die Sonne den Horizont schon fast berührte. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit …
Ein letztes Mal atmete sie tief ein, schloss die Augen und berührte die erste Rune.
Dagaz …
Eine Zeit lang spürte sie nichts. Dann aber sah sie ein kleines Licht.
»Das Licht leitet die Magie ein und öffnet den magischen Zyklus«, hörte sie Inahwens Worte. »Du kannst es nur mit tiefer innerer Überzeugung erwecken.«
Und wie von selbst formten sich in ihren Gedanken jene Worte, die sie auch schon während des Nebelzaubers gehört
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