Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
auf, eilte davon und kam gleich darauf mit Vharas prächtigem schwarzem Hengst zurück. Das stolze Tier trug bereits einen Sattel und die nötige Ausrüstung für einen Ritt durch die Wüste.
Der Kazike nahm dem Jungen die Zügel aus der Hand und reichte sie der Priesterin mit den Worten: »Mögen all deine Pläne von Erfolg gekrönt sein.«
Für Bruchteile eines Augenblicks glaubte Vhara wieder das seltsame Lächeln des Kaziken zu sehen, doch wie schon beim ersten Mal verflog es so rasch, dass sie sich dessen nicht sicher war. »Es ist gefährlich, ohne Eskorte zu reiten«, sagte sie, während sie die Zügel entgegennahm.
»Es ist gefährlich für ein Volk ohne Krieger«, erwiderte der Kazike kühl. »Ließen wir die Tempelgarde ziehen, wären die Frauen und Kinder Udnobes ohne jeglichen Schutz. Du hingegen bist eine mächtige Priesterin, die keiner Hilfe bedarf.«
»Es ist gut, dass du das weißt«, bemerkte Vhara spitz. Dann raffte sie ihre Gewänder zusammen, schwang sich in den Sattel und zischte dem Stammesältesten leise zu: »Und du tust gut daran, es niemals zu vergessen.«
Die Miene des Kaziken blieb unbewegt. Nur ein winziges Zucken in den Mundwinkeln verriet Vhara, dass er die Drohung verstanden hatte. »Vergiss es niemals«, raunte sie ihm noch einmal drohend zu, nahm die verkürzten Zügel fest in die Hand und ließ den wiehernden Hengst steigen. Die wirbelnden Vorderhufe verfehlten den Kopf des Stammesältesten nur um Haaresbreite, doch Ulan zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Die unerschütterliche Ruhe des Kaziken schürte Vharas Wut.
Die Stammesältesten hatten sich ihr gegenüber niemals feindselig verhalten. Ihrem Wunsch gemäß hatten sie vor vielen Wintern der Ernennung Othons zum Whyono zugestimmt und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Uzoma den neuen Glauben annahmen. Niemals hatten sie es gewagt, Othons oder ihre Anweisungen in Frage zu stellen oder gar gegen sie aufzubegehren. Doch jetzt …
Etwas stimmte hier nicht.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, schaute Vhara zu den anderen Kaziken hinüber, die das Geschehen auf dem Platz mit Ruhe und Gelassenheit verfolgten. Auch sie wirkten gefasst und zeigten keinerlei Furcht.
Serkses feurige Haare, was geht hier vor? Hinter Vharas Stirn überschlugen sich die Gedanken.
Eine Verschwörung?
Ein Aufstand?
Während sie noch überlegte, woher die Kaziken so plötzlich den Mut nahmen, erregte eine Bewegung am Rand des Platzes ihre Aufmerksamkeit. Sie währte nicht länger als ein Lidschlag, genügte jedoch, um Vharas feine Sinne zu reizen.
Jemand beobachtete sie.
Obwohl sich der Fremde in den düsteren Schatten zwischen den Hütten bewegte, gelang es der Hohepriesterin, den flüchtigen Eindruck einer hoch gewachsenen Gestalt in langem dunklem Gewand zu erhaschen. Doch wie schon das sonderbare Lächeln des Kaziken, so war auch diese Wahrnehmung zu kurz, um sie wirklich zu erfassen. Schon im nächsten Augenblick waren die Schatten wieder leer und starr, ganz so, als sei dort niemals jemand gewesen. Was blieb, waren düstere Gedanken und die Ahnung von drohender Gefahr.
Doch zum Nachdenken blieb ihr keine Zeit. Das Spiel hatte begonnen. Sie konnte nicht mehr zurück. Schon jetzt hatte sie viel zu lange gezögert. Um ihre eigenen Pläne zu vollenden, musste sie sich scheinbar dem Willen der Kaziken beugen und allein in die Wüste reiten.
Vhara spürte die Blicke der Umstehenden auf sich ruhen und wusste, dass sie nicht länger säumen durfte. Mit einem lauten Ausruf ließ sie den Hengst antraben und preschte in die Wüste hinaus, ohne sich noch einmal umzublicken.
»Heißblütige Emo! Was ist das?« Fassungslos starrte Maylea auf das seltsame Geschöpf, das, Oonas Ruf folgend, hinter einer Hügelkuppe auftauchte: ein unglaublich großer Vogel mit stämmigen Beinen, rotbraunem Federkleid und Flügeln, die gewiss nicht zum Fliegen taugten. Kopf, Schwanz und Flügelspitzen schmückte ein schillernd blaues Gefieder, das sich fedrig bauschte, als der Vogel mit stolz erhobenem Kopf auf Oona zuschritt. Die schwarzhaarige Frau wirkte neben ihm so klein und verletzlich, dass Maylea erschrocken die Luft anhielt. Zwar schlug sie der Anblick des prächtigen Vogels in seinen Bann, aber die majestätische Schönheit wirkte angesichts des wuchtigen gebogenen Schnabels recht trügerisch.
Unwillkürlich wich sie ein Stück zurück, während Oona furchtlos auf den Vogel zutrat und ihm zur Begrüßung sanft über das weiche
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