Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Brustgefieder strich.
»Das ist ein Mahoui«, erklärte sie so gelassen, als sei daran nichts Ungewöhnliches. »Er trug mich hierher.« Sie bückte sich, hob ihr verschnürtes Bündel auf und wandte sich ganz dem Mahoui zu.
Erst jetzt bemerkte Maylea den Sattel. »Du bist auf ihm geritten?«, fragte sie ungläubig. »Wie auf einem Pferd?«
»So ungefähr.« Oona befestigte das Bündel an dem seltsam anmutenden Sattel, der von breiten, kunstvoll verzierten Riemen gehalten wurde, die zu beiden Seiten der Flügel um den Bauch herum verliefen. Dann wandte sie sich wieder Maylea zu. »Die Mahoui leben frei«, erklärte sie. »Aber sie sind eng mit uns verbunden. Wie wir verlassen auch sie die Heimat nicht oft. Wie wir lieben sie den Frieden …« Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, und sie fügte mit einem Anflug von Wehmut hinzu: »Aber die Zeiten ändern sich. So vieles geschah und wird noch geschehen, dass wir uns dem großen Plan nicht länger verschließen können …« Oona verstummte, straffte sich und verscheuchte die trüben Gedanken mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Jetzt rede ich schon fast wie Ylva«, sagte sie mit unbeholfener Leichtigkeit und strich dem Mahoui noch einmal über das kurze, weiche Halsgefieder. »Dabei wollte ich dich doch nur mit dem Mahoui bekannt machen. Also: Dies ist Nu, der größte und kräftigste Mahoui im ganzen Tal. Er begleitet uns immer dann, wenn wir Verletzte bergen müssen, die nicht allein reiten können. Er ist einer der wenigen, die zwei Reiter tragen können.« Sie blickte Maylea prüfend an. »Fühlst du dich wirklich kräftig genug zu reiten?«, fragte sie, und zum ersten Mal schwang eine unterschwellige Unruhe in ihren Worten mit. »Wir sollten hier nicht zu lange verweilen. Deine Wunden müssen versorgt werden. Ich habe getan, was in meinen Kräften stand, doch es ist nur ein Behelf. Im Tal wird man sich besser um dich kümmern. Außerdem«, sie warf einen aufmerksamen Blick über die Steppe, »ist es hier nicht sicher.«
»Behelf?« Maylea schüttelte den Kopf und deutete auf ihre verbundenen Arme. »Das ist doch kein Behelf. Du hast mir das Leben gerettet.« Sie lächelte. »Dafür werde ich dir immer dankbar sein.« Umständlich versuchte sie sich zu erheben, konnte sich jedoch nicht abstützen.
»Warte, ich helfe dir.« Oona eilte herbei und fasste sie bei den Schultern, aber Maylea wehrte ab. »Danke, aber ich will es allein versuchen«, presste sie schwer atmend hervor. Mit zusammengebissenen Zähnen ertrug sie die Schmerzen in den Armen und kam endlich auf die Beine.
Oona hatte sich inzwischen dem Mahoui zugewandt und befestigte die ledernen Zügel mit geübten Griffen am Kopfgeschirr. Der Vogel ließ sich von ihr vertrauensvoll zu einer Gruppe flacher Felsen führen, die ganz in der Nähe lagen. »Komm!«, rief sie Maylea zu. »Die Felsen werden uns das Aufsitzen erleichtern.«
Mit unsicheren Schritten kam Maylea der Aufforderung nach. Das heftige Schwindelgefühl, das sie zuvor verspürt hatte, war noch nicht völlig aus ihrem Kopf gewichen und erfasste sie umso heftiger, als sie sich in Bewegung setzte. Schwarze Funken tanzten ihr vor den Augen, und sie hatte das Gefühl, über die schwankenden Planken eines sturmgebeutelten Schiffes zu laufen. Der harte, aber ebene Steppenboden schien sich bei jedem Schritt auf unberechenbare Weise zu heben und zu senken. Maylea musste all ihre Kraft darauf verwenden, die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken und das Gleichgewicht zu wahren. Jetzt erst wurden ihr die Schwere der Verletzungen und der hohe Blutverlust bewusst. Sie fühlte sich hilflos wie ein Kind, und die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit trieb ihr die Tränen in die Augen.
Nur noch zehn Schritte!
Maylea biss die Zähne zusammen und zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, aber der Boden wankte immer stärker. Und schließlich spürte sie, dass sie die Felsen nicht ohne Hilfe erreichen würde.
»Oona?« Der Klang des Namens kam einem Hilferuf gleich. Halt suchend hob sie die verletzen Arme, doch es gab nichts, das sie hätte stützen können. Die schwarzen Funken blitzten in immer schnellerer Folge vor ihren Augen auf, und die Welt dahinter versank in einem verschwommenen Muster aus bunten Fetzen.
»Ich bin da!«
Maylea spürte, wie Oona sie umfasste und sie stützte. Die Ruhe und Gefasstheit der jungen Frau übertrugen sich fast augenblicklich auf sie und besänftigten den Aufruhr, der in ihrem Innern tobte. Maylea hielt
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