Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Stellen, an denen ein kärglicher Rest Wasser durch winzige Einschnitte aus dem Innern des Schlauchs hervorsickerte.
Einschnitte!
Nicht genug, dass man sie allein in die Wüste geschickt hatte. Um sicherzugehen, dass sie niemals zurückkehren würde, hatte man auch noch die Wasserschläuche angeritzt und … Vhara ließ die nutzlosen Behältnisse zu Boden gleiten und öffnete die Schnallen der Packtaschen, in denen der Proviant für Ross und Reiter aufbewahrt wurde. Sie ahnte, was sie erwartete, noch ehe sie es mit eigenen Augen sah, aber sie ersparte sich den Anblick nicht.
Das Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt, schlug sie die Lasche auf und sah erschüttert auf das, was die Kaziken ihr als Nahrung mit auf den Weg gegeben hatten: In Leinentücher gewickelte Hölzer und Steine statt getrocknetem Brot und Dörrfleisch, Lederbeutel, gefüllt mit Sand statt mit Getreide für das Pferd.
Für Bruchteile eines Herzschlags raubte ihr der Anblick den Atem. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, nicht einmal im Traum daran gedacht, dass die Uzoma ihr nach dem Leben trachteten. Der Gedanke erschien ihr selbst jetzt noch so absurd und ungeheuerlich, dass etliche Herzschläge verstrichen, ehe sie die ganze Tragweite dessen erfasste, was sich ihr in diesem Augenblick offenbarte.
Die Uzoma wollten sie töten!
Vhara stieß einen verächtlichen Laut aus und ballte die Fäuste. Diese feigen Kaziken hatten beschlossen, sich ihrer zu entledigen.
Wie Verschwörer hatten sie einen heimtückischen Mordplan ersonnen, der einem tragischen Missgeschick glich und keine Spuren hinterließ. Dass Vhara ohnehin in die Wüste hatte reiten wollen, dürfte ihnen dabei nur allzu gelegen gekommen sein.
»Das hab ihr euch aber wirklich schlau ausgedacht!« Ein geringschätziges Lächeln huschte über das Gesicht der Hohepriesterin, und in ihren Augen zeigte sich ein unheilvolles Glühen. Die Stammesältesten konnten wahrlich stolz auf sich sein. Alles schien perfekt. In der Nunou starb man schnell. Unter der sengenden Sonne gab es ohne Wasser und Nahrung keine Hoffnung zu überleben. Aber sie hatten einen Fehler gemacht: Sie hatten nicht bedacht, wem sie nach dem Leben trachteten.
»Nicht mit mir.« Mit einem unheilvollen Lachen schwang Vhara sich wieder in den Sattel und stieß dem widerstrebenden Pferd die Fersen in die Seite. Das Tier war durstig und erschöpft und würde nicht mehr lange durchhalten, doch sein Schicksal kümmerte Vhara wenig. Sie hatte noch einen langen Weg vor sich und war entschlossen, die Kräfte des Pferdes so lange für sich zu nutzen, bis sie versagten.
Von diesem Augenblick an gab es niemanden mehr, auf den sie Rücksicht nehmen musste. Nicht eine sterbliche Seele, der sie verpflichtet war. Diesseits und jenseits des Arnad gab es nur noch Feinde, und sie konnte es kaum erwarten, sie zu vernichten.
Die Pferde liefen ruhig und leicht. Den unzähligen Schatten gleich, welche die verstreut liegenden Felsen im Sonnenlicht warfen, flogen ihre kräftigen Körper über das versteppte Hügelland hinweg. Die Nacht hatte ihnen die Möglichkeit gegeben, sich zu erholen, und Bayard war sicher, dass sie nicht so schnell an Kraft verlieren würden. Wie die beiden anderen Pferde zeigte auch sein Rappe eine erstaunliche Ausdauer, und Bayard, der sein ganzes Leben mit Pferden zugebracht hatte, konnte nicht umhin, sie dafür zu bewundern. Obwohl ihre Nahrung seit dem Aufbruch vom Arnad fast ausschließlich aus dürrem Stachelgras bestand und es nur wenig Wasser gab, wirkten die Tiere so frisch, als hätten sie die Nacht an gut gefüllten Futtertrögen im Stall verbracht. Dennoch achtete Bayard sorgsam darauf, dass er den Tieren nicht zu viel abverlangte. Die Sonne hatte den Zenit gerade erst überschritten, und der Weg zur Kardalin-Schlucht war noch weit.
Lange vor Sonnenaufgang hatte die Dreiergruppe das Nachtlager im Schutz der Felsen abgebrochen und den Weg in südlicher Richtung durch die karge Einöde der Steppenlandschaft fortgesetzt. Das Wetter meinte es gut mit ihnen. Es war sonnig und trocken, und die Zeit flog schnell dahin.
Über den fernen scharfzackigen Gipfeln des Pandarasgebirges hatten sich im Verlauf des Vormittags drohende Gewitterwolken zusammengeballt, doch der Wind hatte sie rasch gen Westen getrieben. Wenn nichts Unvorhergesehenes geschah, würden sie den schmalen Pfad, der zur Schlucht hinaufführte, noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen.
Die Kardalin-Schlucht … Bei dem
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