Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
gegangen. Die ganze Nacht hatte sie wach gelegen und gegrübelt, was sie tun sollte.
Als es gedämmert hatte, hatte sie schließlich eine Entscheidung getroffen. Ihre wenige Habe war schnell zusammengepackt. In aller Eile hatte sie Mala von ihrem Entschluss berichtet, und ehe sie sich versehen hatte, da hatte ihr ein mürrischer Fuhrmann auch schon einen wenig behaglichen Platz in einem der vorderen Wagen zugewiesen, wo sie zwischen Kisten und Fässern ausharren musste, bis sie den Pass erreichten.
Kelda wünschte nur, sie hätte ein wenig Gesellschaft.
Sie, die es gewohnt war, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang von vielen Menschen umgeben zu sein, konnte sich nur schwer mit der Einsamkeit des Händlerkarrens abfinden und sehnte den Augenblick herbei, da sie das Tor der Festung passierten. Seufzend zog sie sich zwei Decken heran, die der Fuhrmann ihr gegeben hatte, und suchte nach einer halbwegs bequemen Stellung, um ein wenig zu schlafen, als das fortwährende Poltern und Rumpeln der eisenbeschlagenen Räder abrupt verstummte und der Wagen stehen blieb.
»Beim Barte des Asnar, was ist denn nun los?« Umständlich schälte sich Kelda aus den wärmenden Decken und schob die rückwärtige Wagenplane ein Stück beiseite, um nachzusehen, was draußen vor sich ging. »Heda! Warum halten wir?«, rief sie einem der Berittenen mit befehlsgewohnter Stimme zu, der gerade vorbeikam.
»Zwei der hinteren Wagen haben sich im Schlamm festgefahren! Wir müssen warten.« Der Wind riss dem Katauren die Worte von den Lippen, aber Kelda verstand sie dennoch.
»Festgefahren!«, murmelte sie grimmig und schloss eilig die Plane, um Schnee und Regen auszusperren. »Wenn das so weitergeht, ist es Frühling, ehe wir die Festung erreichen.«
Der Abend nahte.
Am östlichen Himmel zeigte sich ein erster Stern, während die Sonne im Westen als glutrote Scheibe hinter den Bergen versank. Die schwindende Wärme lockte den Dunst aus seinem Versteck zwischen den hoch aufragenden Tannen am anderen Ende des Tals, und die Schatten der Felswände breiteten sich wie ein samtenes Tuch über Wiesen und Felder.
Ajana saß auf einer steinernen Bank nahe den Höhlen, in denen die Vaughn lebten, und beobachtete, wie der Tag sich langsam dem Ende zuneigte. Von dem immer noch sonnigen Platz aus bot sich ihr ein weiter Blick über die wundersame Landschaft, die sich dem eisigen Griff des Winters so beharrlich entzog.
Ajana schloss für Sekunden die Augen und genoss die letzten wärmenden Sonnenstrahlen. Zum ersten Mal, seit sie nach Nymath gekommen war, fühlte sie so etwas wie Geborgenheit. Ihr war, als hätte sie mit dem Bad am Morgen auch einen Teil ihrer Sorgen fortgespült.
Das Heimweh hatte sich für den Augenblick in einen stillen Winkel ihres Denkens zurückgezogen. Und auch der Krieg und das Elend, das die Völker Nymaths erleiden mussten, erschienen ihr hier, in der Abgeschiedenheit des Tals, unendlich weit entfernt, wie ein schlimmer Albtraum, der längst verflogen war.
Ajana öffnete die Augen und blinzelte. Ihr Blick wanderte zu Keelin hinüber, der nicht weit entfernt auf einer Wiese die Geschicklichkeit seines Falken mit einem Federspiel trainierte.
Der junge Falkner schien zu spüren, dass sie ihn beobachtete, und lächelte ihr zu.
Ajana erwiderte das Lächeln, während sie sich die Ereignisse des Tages noch einmal in Erinnerung rief. Der Nachmittag war für sie zunächst anstrengend und wenig erfreulich verlaufen. Nicht nur Maylea, auch Inahwen und die Heermeister hatten ihr Verhalten und ihre Offenheit Faizah gegenüber scharf verurteilt und sie dringlichst ermahnt, jeglichen Kontakt mit der jungen Uzoma zu unterbinden. Keelin hatte sich dabei auffallend zurückgehalten, aber Bayard hatte aus seinem Zorn keinen Hehl gemacht und die Uzoma mit verächtlichen Beschimpfungen bedacht, die nur einer zutiefst verletzten Seele entspringen konnten.
Ajana hatte sich die Vorwürfe und Warnungen geduldig angehört, war jedoch entschlossen, den Maßregelungen nicht Folge zu leisten. Sie mochte Faizah, und es drängte sie, mehr über die Uzoma zu erfahren – aber das behielt sie zunächst für sich.
Während Keelin das Federspiel höher und höher schleuderte und dabei den Flug des Falken verfolgte, lenkte Ajana ihre Aufmerksamkeit auf die Wiesen und Felder, wo die Angehörigen des kleinen Volkes damit befasst waren, die Vorbereitungen für die Nacht zu treffen.
Ein seltsames Volk, dachte sie bei sich. Sie leben so
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