Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
glauben, was sie da hörte. Sie war auf dem Weg, das Tribunal zwischen den Uzoma und den Vereinigten Stämmen einzuberufen, um endlich Frieden zu stiften in Nymath, doch was der Wanderer ihr schilderte, ließ alle Gedanken an Verhandlung augenblicklich in den Hintergrund rücken. »Was können wir tun?«, fragte sie mit bebender Stimme und fügte dann leise hinzu: »Können wir überhaupt etwas tun?«
Der Wanderer schwieg.
»Es gibt einen Weg«, erklärte er schließlich. »Doch der erfordert nicht nur Mut und Entschlossenheit. Höchste Eile ist geboten. Wenn wir säumen, wenn nur ein paar Verzögerungen auftreten, wird es schon bald nichts mehr geben, für das es sich noch zu kämpfen lohnt.« Er machte eine kurze Pause, um Atem zu schöpfen, und trat näher an die Magun heran. »Und nun höre mir gut zu …«
Am späten Nachmittag erreichte eine Wagenkolonne, die sich wacker über aufgeweichte und schlammige Straßen voranquälte, die Brücke von Thel Gan. Die sieben Pferdefuhrwerke, eskortiert von einem Dutzend erfahrener Katauren auf stämmigen Streitrossen, hatten Sanforan mit Beginn der Dämmerung verlassen, um Nahrungsmittel, wärmende Decken und dringend benötigte Heilmittel zur Festung am Pass zu bringen.
Doch nicht Wegelagerer oder versprengte Gruppen von Uzomakriegern waren es, die ihnen das Fortkommen erschwerten, das Wetter selbst schien sich gegen sie verschworen zu haben.
War der Himmel zum Zeitpunkt des Aufbruchs noch klar und der Wind schwach, hatten sich im Westen schon bald finstere Wolken aufgetürmt, die rasch zu ihnen aufschlossen und Land wie Leute mit einem eisigen Wechselbad aus Schnee, Regen und Hagelkörnern so groß wie Kilvarbeeren peinigten.
Zeitweise fielen die schweren Flocken so dicht, dass sich in kürzester Zeit eine dünne Schneeschicht auf dem Boden bildete, die sich aber schon bald unter der Wucht prasselnder Regentropfen auflöste. Dazu kam ein böiger Wind, der von der Seite heranfegte und ungestüm an den Planen rüttelte, welche die Waren auf den Wagen schützten. Mit zorniger Urgewalt drängte er Wassertropfen und Hagelkörner durch jede Ritze ins Wageninnere und riss auch die letzte Ahnung von Wärme hinfort, die sich noch zwischen den Kisten und Fässern gehalten hatte.
»Thorns heilige Rosse, welch ein Unwetter!« Fröstelnd schloss Kelda die Schnalle ihres ölgetränkten Reiseumhangs vor der Brust, zog sich die Kapuze tief ins Gesicht und lehnte sich an ein großes Fass mit Pacunussöl, das hinter ihr stand. Sie fror erbärmlich, bereute es aber nicht, der Stimme ihres Gewissens gefolgt zu sein. Sie empfand nicht einmal Reue, die Herdküche der Bastei so überstürzt verlassen zu haben.
Mala, die nun an ihrer statt die Obacht über die Herdküche führte, war eine erfahrene Köchin, die sie schon manches Mal zuverlässig vertreten hatte, und Kelda war sich sicher, dass unter ihrer Aufsicht nichts verkommen würde.
Vermutlich wäre es für alle weit unerträglicher, wenn ich noch länger in Sanforan ausgeharrt hätte, dachte sie entschuldigend und erinnerte sich daran, wie ihre Sorge um Abbas mit jedem Sonnenuntergang quälender geworden war. Am Ende war sie so zerstreut gewesen, dass sie darüber sogar ihre zahlreichen Pflichten schändlich vernachlässigt hatte. Wann immer Krieger oder Verwundete vom Pass zurückgekehrt waren, war sie hinausgelaufen, um zu sehen, ob er darunter sei. Und immer war sie enttäuscht und noch mürrischer in die Küche zurückgekehrt.
Den Mägden und Küchenburschen war natürlich nicht entgangen, wie sehr sich ihre sonst so resolute Herdmeisterin verändert hatte, doch keiner hätte es je gewagt, sie darauf anzusprechen oder sie gar auf ihre Versäumnisse aufmerksam zu machen.
Keiner – außer Mala.
»Warum fahrt Ihr nicht wie so manche andere einfach hin und sucht nach ihm?«, hatte die rundliche Köchin Kelda am vergangenen Abend so geradeheraus gefragt, dass die Herdmeisterin sie verblüfft angestarrt hatte. War ihre Sorge um Abbas, die sie vor allen geheim zu halten versuchte, bereits so offensichtlich geworden? Wusste etwa jede Magd in der Küche, welch schmerzliche Gedanken sie tief in ihrem Herzen verschlossen hatte?
»Morgen bei Sonnenaufgang wird wieder eine Wagenkolonne zum Pass aufbrechen«, hatte Mala gesagt und ihr mitfühlend geraten: »Vielleicht hilft es Euch, wenn Ihr sie begleitet, um endlich Gewissheit zu haben.«
… endlich Gewissheit zu haben. Die Worte der Köchin waren Kelda nicht aus dem Sinn
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