Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
den beiden. Hoffentlich war es nichts Ernstes.
Aurelias Augen waren noch immer gerötet. Sie sah besorgt aus. »Du kommst doch wieder?«
Enricos Stirnrunzeln vertiefte sich.
»Aber natürlich.« Cari küsste sie auf die Wange. »Nichts wird mich davon abhalten.«
»Wie wär’s mit morgen?« Aurelia stand auf. »Am besten kommst du vormittags und bleibst dann zum Mittagessen. Wird dein Freund dich wieder herbringen?«
Ihr Freund. Cari hatte nicht die leiseste Ahnung. Mr Misterioso hatte vielleicht etwas anderes vor. »Falls nicht, fahre ich selbst«, antwortete sie. Sie winkte Enrico zu und folgte Aurelia aus der Küche. Zum wiederholten Male fragte sie sich, weshalb Aurelia Richard und Tasmin verlassen hatte. Eine so nette Frau wie sie. Warum hatte Tasmin sie so gehasst?
»Und morgen zeige ich dir das Labyrinth.« Aurelias Augen füllten sich erneut mit Tränen. »Tasmin …«
Cari brannten ganz bestimmte Fragen auf den Nägeln – hatte Tasmin Freunde mit nach Hause gebracht? Gab es darunter einen, der vielleicht …? Doch das musste bis morgen warten. »Wirst du es Enrico erzählen?«, fragte Cari, als sie in der Tür standen.
Aurelia nickte. Erneut drohte die Traurigkeit sie zu überwältigen. »Wir werden uns besser kennenlernen«, sagte sie. »Du und ich.«
»O ja.« Cari hoffte es sehr.
»Und bring deinen Freund beim nächsten Mal auf einen Kaffee mit herein. Ich würde diesen Marco nur zu gern kennenlernen.«
»Mach ich.« Cari trat hinaus. Wenn er mitkommen würde. Wie immer nach einem Wolkenbruch war die Luft schwer, süß und von Feuchtigkeit gesättigt. »Auf Wiedersehen.«
Sie rannte die nasse Auffahrt hinab, an den hohen Zypressen vorbei, von denen das Wasser tropfte, und zog das schwere schmiedeeiserne Tor auf. Der rote Maserati parkte direkt davor.
»Marco!« Mit Schwung riss sie die Wagentür auf. »Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Aber sie ist es?« Forschend sah er sie an.
Natürlich. Als ob er es nicht längst gewusst hätte! »Woher hast du gewusst, dass diese Frau die Aurelia ist, die ich suche?«, bohrte sie.
Er ließ den Motor an. Das Auto nahm sofort Geschwindigkeit auf. »In dieser Gegend gibt es nicht viele Engländerinnen, die Aurelia heißen. Erst habe ich es für einen Zufall gehalten. Aber dann habe ich mich an das Muster auf deinem Anhänger erinnert …«
Cari sah die Landschaft vorübergleiten. Das nasse Unterholz, niedergedrückt von der Gewalt des Unwetters, glänzte. Schlaff hingen die triefenden Glyzinien herab. Der Himmel sah wie frisch gewaschen aus und ließ an einen Neuanfang denken. Aber sie behielt es für sich. Ein Neuanfang mit ihrer Großmutter – und mit Marco?
Er redete immer noch. »Ich habe irgendwann gemerkt, dass es kein Zufall sein kann. Ich dachte, he, das ist doch diese verrückte Malerin, die in La Sirena wohnt.«
Sie hörte zu. Es klang plausibel. Aber wieso hatte sie trotzdem das Gefühl, dass er ihr etwas verbarg und diese Erklärung herunterspulte wie auswendig gelernt?
»Wie ist dein Name?«, fragte sie.
»Hm?« Er bremste scharf, weil ihnen ein Fahrzeug entgegenkam.
»Dein Nachname, Marco. Wie lautet er?«
Eine Weile blieb er still, konzentrierte sich scheinbar aufs Fahren, beschleunigte auf einer geraden, übersichtlichen Strecke, bremste vor einer Kurve ab, das Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert.
»Also?« Warum nur musste er dauernd so verdammt geheimnisvoll tun?
»Es ist so, Cari«, meinte er schließlich, als er vor einer Ampel bremste. Bald würden sie die autostrada erreichen und in kürzester Zeit zurück in Lucca sein. »Was meinen Namen angeht …«
»Ja?«
»Such dir einfach einen aus!«
K
apitel 29
Marco fuhr Cari am nächsten Tag wieder zu La Sirena , jammerte aber dabei wie ein kleines Kind. Wieso gehst du da schon wieder hin? Und was ist mit mir?
Ja, was ist mit dir?, hatte sie sich gefragt, wohl wissend, dass er es nicht wirklich ernst meinte, dass er seinen Unmut so schnell an- und ausknipsen konnte wie seinen Charme … Ein Mann ohne Namen. Was hatte das gestern Abend gesollt? Er hatte sie bei seiner Antwort herausfordernd angesehen, als erwarte er, dass sie nicht lockerlassen und versuchen würde, ihm den Namen zu entreißen. Aber Cari hatte keine Lust auf solche Spielchen. Sie wollte einen Mann, keinen kleinen Jungen. Und doch … Sie betrachtete sein Gesicht und konnte die Augen nicht von seinem Mund wenden. Er sprach über die Landschaft – über die Geschichte der Weinberge
Weitere Kostenlose Bücher