Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
Vom Netzwerk:
früheren Arbeiten?
    »Es gibt noch mehr.« Aurelia ging in eine andere Ecke des Dachzimmers, hob ein mit Farbflecken übersätes Tuch und winkte Cari zu sich. »Dieses Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile«, sagte sie beinahe entschuldigend.
    Cari sah die vielen Leinwände durch. Manche waren unvollendet, als habe Aurelia den Kampf aufgegeben, nur um dann wieder von vorn anzufangen. Sie waren völlig anders als ihr restliches Werk und auch ein wenig verstörend. Und düster – dunkles Tannengrün, Purpur und Brauntöne, dazu viele schwarze Schatten. Man hatte das Gefühl, die Farbe sei schwungvoll mit großzügigen Pinselstrichen aufgetragen worden, nicht mit der künstlerischen Sorgfalt wie bei den zarten Meeresaquarellen. War die Künstlerin von etwas anderem als der Umgebung übermannt und inspiriert worden?
    Cari runzelte die Stirn. Die Motive hatten etwas Brütendes. Nur ungern würde sie diese Bilder in ihrem Wohnzimmer in Brighton aufhängen. War Aurelia von dem Labyrinth besessen? Cari dachte an Marco. Er hatte von dem Labyrinth gewusst. Wenn es darum ging, erschien ihr Aurelia fast ebenso rätselhaft wie Marco. Wann würde sie es betreten dürfen? Was bedeutete später ? Besaß dieses Labyrinth besondere Kräfte, die sich erst nach dem pranzo zeigten? Sie lächelte. Aber als ihre Großmutter die Gemälde wieder zudeckte, musste sie ein Schaudern unterdrücken. Was genau hatte Aurelia da einfangen wollen?
    Das Mittagessen bestand aus einer köstlichen Fischsuppe, die Aurelia in zwei Schüsseln servierte – die eine enthielt eine kräftige Brühe mit dicken Brotstücken, die andere Fisch, Garnelen und Tintenfisch, mit denen die Suppe gekocht worden war. Dies erklärte sie Cari beim Weißwein, den sie sich zur Suppe schmecken ließen.
    Danach, beim Kaffeetrinken auf der Terrasse, erzählte Aurelia von ihrer Kindheit, den Blick träumerisch in die Ferne gerichtet. Cari hörte ihr gebannt zu, beglückt über all die Geschichten, auf die sie schon so lange gewartet hatte. Doch als ihre Großmutter den Namen ihres Vaters Hugh erwähnte, wurde ihre Stimme hart.
    »Habt ihr euch gut verstanden?«, fragte Cari.
    »Nein, nie«, stieß Aurelia heftig hervor, die mit Altersflecken überzogenen Hände leidenschaftlich zu Fäusten geballt.
    Cari spürte, dass ihre Großmutter eine starke und zähe Frau war. Mit ihrer zierlichen Gestalt wirkte sie auf den ersten Blick zerbrechlich, aber sie konnte auch hart wie Stahl sein.
    »Er vertrat die Ansicht, Kinder sollte man weder sehen noch hören«, fuhr sie fort. »Er war froh, wenn ich aus dem Weg war. Sehr froh.«
    Ihre Verbitterung war nicht zu überhören. Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, für ein Kind musste es furchtbar sein anzunehmen, dass der eigene Vater so empfand.
    »Manchmal glaube ich, er hat mich gehasst.« Aurelia warf ihrer Enkelin einen Blick zu, als wolle sie deren Reaktion testen.
    Cari war überrascht über diesen Gefühlsausbruch. Sie strich mit der Hand über die metallene Platte des Gartentisches, als wolle sie die Gefühle ihrer Großmutter besänftigen. »Als Kind denkt man so etwas oft, nicht wahr?«, sagte sie. »Vor allem im Hinblick auf den Vater. Und wenn du kaum Zeit mit ihm verbracht hast …«
    »Ich wollte keine Zeit mit ihm verbringen.« Aurelia zitterte heftig, obwohl die Sonne heiß auf die mit Wein berankte Pergola niederbrannte, in deren wohltuendem Schatten sie saßen. »Glaub mir, Cari, er war kein angenehmer Mensch.«
    Das glaubte Cari ihr aufs Wort. Aber wenigstens, so schoss es ihr durch den Kopf, hattest du einen Vater, kennst deine Herkunft, deine Wurzeln. Du hattest Eltern und Großeltern mit Namen und Gesichtern.
    Nicht zum ersten Mal erinnerte sie sich an die entsprechenden Abschnitte in Tasmins Tagebuch. Nur ein Name tauchte dort immer wieder auf. Es gab nur einen Mann, den ihre Mutter abgöttisch geliebt hatte. Richard, ihren Vater. Also …? Aber sie würde diesen Gedanken in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannen. Es hatte keinen Sinn, dauernd darüber nachzugrübeln. Sie war, wer sie war. Sie brauchte keine Wurzeln, wo sie doch eine Großmutter und Erinnerungen an ihre Mutter hatte … Das musste genügen.
    »Und was ist mit dir?«, fragte Aurelia freundlich.
    »Mit mir?«
    »Kommst du gut mit deinem Vater zurecht?« Als sich Aurelia vorbeugte, fing sich ein Sonnenstrahl in den weißen Strähnen ihres Haars und verwandelte sie in gleißendes Silber. »Hat meine Tasmin einen netten Mann

Weitere Kostenlose Bücher