Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
geheiratet?«
Cari hätte beinahe laut herausgelacht. Nur dass sie plötzlich einen Kloß im Hals spürte und befürchtete, stattdessen weinen zu müssen. Einen netten Mann? Eher nicht. Geheiratet? Keine Chance. Was würde Aurelia sagen, wenn sie die Wahrheit wüsste?
»Ich weiß nicht, wer mein Vater ist«, gestand sie. »Sie hat es mir nie erzählt. Und sie hat auch nie geheiratet.«
So ausgedrückt klang es trostlos. Aurelia wirkte schockiert – aber das war ja verständlich. »Ach, mein Liebes …« Sie wollte aufstehen.
»Ist schon in Ordnung.« Cari wollte kein Mitleid. Nicht jetzt. Das würde ihr den Rest geben und die Schleusen endgültig öffnen. »Ich habe es nie erfahren. Aber es ist kein Thema für mich.« Eine fromme Lüge …
»Aber du hast deine Mutter verloren.«
Oh ja, das stimmte. Und dazu – wie Aurelia wahrscheinlich bewusst war – die Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden. »Gab es da jemanden?«, fragte Cari. »Irgendjemanden, der vielleicht …?«
Aurelia runzelte die Stirn. »Natürlich hatte Tasmin Freunde«, erwiderte sie, »aber keiner von ihnen schien ihr besonders viel zu bedeuten.« Sie tätschelte Caris Hand. »Es tut mir leid, Liebes.«
Cari zuckte die Achseln. Das hatte sie sich schon gedacht. Niemand, der ihr besonders viel bedeutete – außer ihrem Vater, den Tasmin geradezu angebetet hatte. »Erzähl mir von deiner Mutter«, sagte sie schnell, um das Thema zu wechseln. »Erzähl mir von Mary!«
Aurelia zögerte.
»Bitte!«
Aurelia nickte. »Also gut.« Ein zärtliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich habe mir immer Sorgen um sie gemacht – schon als ich noch sehr jung war.« Ihre Stimme wurde weich.
Wie bei Tasmin, dachte Cari. Mutter hat etwas Selbstzerstörerisches an sich gehabt, und ich habe immer geglaubt, sie beschützen zu müssen, als wäre ich die Erwachsene und Mutter die Verletzliche, Schwache. Was sich letzten Endes leider bewahrheitet hatte.
»Sie war nie richtig gesund.« Aurelia erklärte ihr, dass Marys schlechter Gesundheitszustand der Grund gewesen sei, warum sie Hertfordshire nicht verlassen hatte – bis sie Richard traf.
Und dann erzählte sie von ihm. Richard … Nur die wesentlichen Punkte, aber Cari konnte sich durch Tasmins Tagebucheintragungen und ihre eigenen Mutmaßungen den Rest zusammenreimen. Sie wusste von seiner Alkoholabhängigkeit und vermutete, dass er fremdgegangen war. Sie konnte sich Aurelias sanfte Würde angesichts von Richards Verhalten vorstellen, ihre Verwirrung aufgrund seines Charmes. Sie wusste nicht genau, was ihre Großmutter alles hatte ertragen müssen, aber wie konnte sie ihr einen Vorwurf machen, weil sie gegangen war? Vor allem, als Cari erfuhr, dass Aurelia Tasmin gebeten hatte, sie nach Italien zu begleiten. Aber natürlich hätte Tasmin niemals Richard verlassen, dazu liebte sie ihn viel zu sehr …
»Lass uns ein Stück spazieren gehen!« Aurelia stand auf und hakte sich bei Cari unter. »Es wird Zeit, dass ich dir das Labyrinth zeige.«
Bei den beiden Lorbeerbäumen, die den Eingang bildeten, hielten sie inne. »Ecco!« , verkündete Aurelia. »Hier ist es also. Benvenuta al labirinto! Willkommen im Labyrinth!«
Die erste Spirale. Langsam schlenderten sie zwischen den Jasmin- und Oleanderhecken hindurch. Der Oleander begann gerade erst zu blühen. Noch trug er teilweise fest geschlossene rosa Knospen, während der Jasmin bereits in voller Blüte stand und seinen honigsüßen Duft verströmte. Aurelia erzählte Cari, wie sie die Pläne gefunden hatte, und von ihrem Bedürfnis, dieses Projekt in die Tat umzusetzen.
»Und da hast du einfach die ersten Pflanzen gesetzt«, sagte Cari. »Aber doch sicherlich nicht allein?«
Aurelia lächelte. Sie wusste, was ihre Enkelin meinte – sie wurde älter, ging langsamer, gebeugter, war gewiss nicht mehr die Frau, der man zutraute, ein solches Labyrinth allein anzulegen. »Zusammen mit Stefano«, antwortete sie.
Cari konnte es sich lebhaft vorstellen: Aurelia, die den Schubkarren mit den jungen Oleander- und Jasminpflanzen schob, Stefano, der bewaffnet mit Pflanzenheber und Grabegabel neben ihr her marschierte.
»›Werden die Hecken wachsen?‹, hat Stefano gefragt, die braunen Augen groß vor Aufregung. ›So hoch, dass wir nicht mehr drübergucken können?‹
›Hoch genug, dass man sich darin verlaufen kann‹, habe ich ihm versichert. ›Es wird herrlich duften und wundervoll aussehen‹«, erzählte Aurelia. »Die Pläne für das Labyrinth
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