Das Erbe der Uraniden
Lippen.
Der schwere Baukran rollte heran, umklammerte mit stählernen Fingern den Block, schob ihn durch die weitgeöffneten Ladeluken in den Mittelraum der Rakete.
23:55 Uhr.
»Alle Mann von Bord!« schrie die Stimme Harrods. Die letzten Monteure kletterten aus dem Bauch der Rakete. Sorgfältig wurden alle Luken verschlossen und verschraubt.
Alle Scheinwerfer richteten ihre Lichtkegel auf die schimmernde Riesengranate. Jeder Niet, jede Naht ihres Baues war in allen Einzelheiten zu erkennen, wurde durch den Bildfunk über Meere und Länder weitergegeben.
In schimmernder Sternenpracht wölbte sich der Tropenhimmel. Am Firmament stand die leuchtende Scheibe des fast vollen Mondes.
24 Uhr.
In der Linken hielt Harrod das Chronometer. Mit der Rechten betätigte er den Kontakt, der die Treibdüsen in Gang setzte.
Ein kurzes Klicken und Knacken… Ein Aufblitzen von Funken. Im gleichen Moment schossen Feuerströme aus den Düsen der Rakete nach unten und beleckten das Fachwerk der Plattform.
Ein Schüttern ging durch den mächtigen Flugkörper, ein Rucken. Genau in der Richtung, welche die Schräge der Plattform ihm gab, stieg er majestätisch empor, einen sprudelnden, brausenden Feuerschein hinter sich herziehend.
Die Menschen standen und starrten. Verfolgten mit heißen Blicken das immer schneller emporeilende Geschoß. Sie starrten, bis auch dem schärfsten Glas die rote Lohe der arbeitenden Treibdüsen entschwand…
Dann brach es los. Die Hunderttausende, die in atemloser Spannung den Vorgängen gefolgt waren, schienen wie außer sich geraten. Die Luft erbebte von dem Schreien und Rufen der erregten Massen. Immer wieder erklang der Name Harrods.
William Harrod ließ das Chronometer in die Tasche gleiten. Mit unverhohlenem Stolz erwehrte er sich der Beglückwünschungen, die ihm von allen Seiten entgegengebracht wurden. Auch Canning trat zu ihm, reichte ihm die Hand.
»Höchste Zeit, Mr. Harrod, daß wir den Block loswurden. Wenige Wochen später hätten wir ihn keiner Rakete mehr anvertrauen können. Jetzt, in spätestens achtundvierzig Stunden, wird der neutrale Punkt zwischen Erde und Mond erreicht sein, dann mag die Rakete zum Teufel gehen. Die Erde ist die Sorge los. Der Mond mag sehen, wie er sich mit dem Geschenk abfindet. Die großen Sternwarten werden uns nicht lange im Ungewissen lassen.«
Die alten Bedenken, die er hegte, hielt er zurück, als er das freudestrahlende Gesicht Harrods sah.
Die Refraktoren der Sternwarten und besonders der neuen schwebenden Weltraumstationen beobachteten den Flug der Rakete ununterbrochen. Dann kam die Meldung, daß die Rakete den neutralen Punkt überschritten habe, daß jetzt ihr Absturz zum Monde begänne. Eine Rückkehr zur Erde war ausgeschlossen! Nach wie vor blieben die Riesenrohre auf den dunklen Teil des Trabanten gerichtet, waren die Fernrohrkameras bereit, jedes Lichtsignal aufzuzeichnen.
Sechs Stunden später kam die neue Meldung der Sternwarten. Die Rakete war auf dem Mond gelandet, das Signal ihrer Blitzlichtladung hatte ihre Ankunft am Nordrande des Mare serenum deutlich gemeldet.
Millionen von Menschen atmeten auf, ledig der furchtbaren Last. Nur ein geringer Teil war es, der die pessimistischen Bedenken achtete, die hie und da laut wurden.
Die Kommission auf Coiba, die dort ständig weitere Untersuchungen anstellte, gab in der letzten Zeit nur beruhigende Berichte: »Keine neue Temperaturerhöhung!« lautete ihr tägliches Bulletin.
Ungeteilt wandte sich das öffentliche Interesse den Vorgängen auf dem Monde zu. Die Frage beschäftigte alle Geister: Wird der Brand auf das Mondmassiv übergreifen oder nicht… oder ist er auf der Fahrt unter dem Einfluß der Weltraumkälte erloschen? Ein heftiger Gelehrtenstreit entspann sich darüber.
»Der Mond eine zweite Sonne«, »Tropenklima an den Polen«, »Der Unterschied von Tag und Nacht hört auf«, »Kein Wechsel der Jahreszeiten mehr«… das waren einige der alarmierenden Überschriften, unter denen die Weltpresse den Lesern die Zukunft schilderte.
Kam das ganze Mondmassiv wirklich im Laufe der nächsten Zeit auf solche Glut, das heißt bis auf eine Temperatur gleich der Sonnentemperatur, dann waren auf der Erde mit Sicherheit einschneidende klimatische Veränderungen zu erwarten. Dann war in der Tat die Weltordnung, die so viele hundert Millionen Jahre auf der Erde herrschte, ernstlich bedroht, und alles Leben würde sich auf ganz veränderte Verhältnisse einstellen müssen. Tag und Nacht
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