Das Erbe der Uraniden
der Erde. Van der Meulen drängte selbst auf größtmögliche Beschleunigung. Seine großen Geldmittel kannten kein Hindernis, doch nichts von dem allen hätte Lee zu diesen übermenschlichen Anstrengungen veranlassen können. Das, was ihn immer wieder in seiner Tätigkeit anspornte, war das Interesse, das Hortense seinen Arbeiten zuwandte.
Van der Meulen hatte recht gehabt. Sie war seine Schülerin, seine Gehilfin geworden. Vom Morgen bis zum Abend, trotz glühenden Sonnenbrandes, war sie fast ständig beim Bau. Die Abende sahen fast regelmäßig die Bewohner der Hazienda um den großen Tisch versammelt, auf dem die Pläne ausgebreitet waren.
An diesem Morgen kam Hortense nicht wieder. Ronald Lee wurde immer unruhiger, immer zerstreuter, je länger die Stunden sich hinzogen. Kaum, daß er noch die vielen Fragen beantworten konnte, die seine Bauleute an ihn richteten. Wie eine Erlösung begrüßte er den Klang der Mittagsglocke.
Als er in das Speisezimmer trat, sah er Hortense hinter ihrem Vater stehen. Sie legte mit einer stummen Bewegung den Finger auf den Mund, deutete mit der anderen Hand auf ihren Vater.
Ronald Lee verbeugte sich kurz. Die Mahlzeit verlief außergewöhnlich schweigsam. Vergeblich bemühte sich der alte van der Meulen, das Gespräch in Fluß zu bringen. Endlich riß ihm die Geduld.
»Hallo, Kinder! Ich sehe, ihr arbeitet zuviel. Heute nachmittag wird gefeiert. Ruhig, Hortense! Ich wünsche es. Eure Gesichter zeigen mir, daß ihr abgespannt, überarbeitet seid. Wir werden, wenn die schlimmste Hitze vorbei ist, einen Ritt in die Pampas machen und vielleicht auch bei Canning vorsprechen.« –
Van der Meulen war mit den anderen kaum fortgeritten, als Cannings Auto vorfuhr. Der Hausmeister trat ihm entgegen, hob bedauernd die Hände hoch.
»Vor einer halben Stunde sind sämtliche Herrschaften in die Pampas geritten.«
»Wohin?«
Der Majordomo zuckte die Achseln. »Ein Ziel haben sie nicht angegeben. Mr. van der Meulen sagte nur, daß man vielleicht Mr. Canning besuchen werde.«
»Das ist sehr bedauerlich, José. Sie zu suchen, hat wohl keinen Zweck. Ich werde nach Hause zurückkehren und warten, bis sie kommen. Doch eilt das nicht. Laß mir ein Glas Eiswasser in das Speisezimmer bringen.«
Während der Alte ging, den Auftrag weiterzugeben, begab sich Canning in das Speisezimmer, warf sich in einen Stuhl, griff nach den Zeitungen. Nicht lange, und eine Dienerin brachte den kühlen Trank. Kaum hatte sie den Raum verlassen, erhob sich Canning, schritt durch das angrenzende Gemach in das Eckzimmer, wo die Pläne lagen. Mit ein paar raschen Blicken hatte er sich informiert. Sie betrafen ausschließlich den Bau der Werft, enthielten für ihn nichts von Wichtigkeit.
Nebenan lag das Zimmer Ronald Lees. Canning drückte auf den Türknopf. Die Tür war verschlossen. Hastig griff er in die Tasche, öffnete sein Taschenmesser. Ein dietrichartiger Haken war daran. Er führte ihn ins Schloß. Ein leises Knacken, die Tür ging auf.
Seine Augen spähten gierig in die Runde. Wo?
Ein paar Truhen, ein großer Wandschrank, sie waren verschlossen. Was sollte er tun? Wo hatte Lee sein Geheimnis verwahrt?
Eine eiserne Kassette sollte es sein. Das hatte er von van der Meulen gesprächsweise erfahren.
Er trat neben den Wandschrank. Sein Fuß stieß gegen ein Hindernis. Er bückte sich, jubelte innerlich auf. Da stand die Kassette, fest mit dem Boden verschraubt.
Er griff in die Tasche, zog den kleinen, blitzenden Apparat heraus. Die Gelegenheit war günstig. Von oben, von der Seite, mochte die Lage sein, wie sie wollte, sein Strahlapparat konnte die Dokumente auf den Film bannen.
In einem Augenblick war es getan.
Er verließ das Zimmer, versperrte das Schloß und ging langsam, ein Lied vor sich hinpfeifend, durch die Zimmerflucht zu seinem Platz zurück.
Er konnte gewiß sein, daß niemand in der Zwischenzeit das Zimmer betreten hatte. Hastig stürzte er den kühlen Trank hinab. Unten an der Haustür begegnete er wieder dem alten José, winkte ihm zu und sprang in seinen Wagen.
Er mochte wohl eine Stunde wieder zu Hause sein, als van der Meulen mit seiner Gesellschaft angeritten kam. In Erwartung der Gäste hatte Canning eine festlich geschmückte Tafel herrichten lassen. Er selbst war in glänzender Stimmung. Bei dem Mahl riß seine übermütig sprühende Laune auch die anderen mit.
Nach der Mahlzeit saßen sie auf der Glasveranda. Durch die offenen Fenster drang die kühle Abendluft.
»Eine Frage,
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