Das Erbe der Uraniden
Ruhebank. Darauf liegt ein Mann. Seine Züge, sein Bild – ich sah es schon, als wir in der Schlucht das zwölfte Grab öffneten –, der lebte noch. Doch lagen schon die Todesschatten auf seinen Zügen…
Aus dem Äther senkt sich ein Schiff wie unseres. Es landet neben dem Uranidenschiff. Zwei Männer steigen heraus und gehen auf das Zelt zu.
Der da liegt, richtet sich auf. Seine Arme strecken sich den Ankömmlingen entgegen. Von seinen Lippen fließen Worte. Die Männer legen ihn sanft zurück. Der eine öffnet ein Buch und schreibt… Der Uranide nickt, lächelt… er verlangt das Buch. Mit müder Hand schreibt auch er… die beiden anderen nicken. Sie verstehen, was ihre Herzen sich sagen wollen.
Der Kranke deutet auf ein Tischchen, worauf ein schöner Apfel liegt. Seine Miene drückt Abscheu, Furcht aus. Warnend hebt er die Hand… Der eine der beiden zieht ein Fläschchen aus seiner Tasche, will dem Kranken davon einflößen. Der winkt traurig ab. Er will sagen, daß nichts ihn retten könne…
Der andere ist indessen zu dem Tisch gegangen, hebt den Apfel auf, betrachtet ihn lange. Dann legt er ihn wieder hin, deckt ein Glas darüber. Er taucht den Finger in eine Flüssigkeit, macht ein Kreuz auf das Glas.
Der Kranke greift in sein Gewand. Er entnimmt einem Kästchen ein paar Pillen, führt sie zum Munde… Eine kleine Weile… seine Züge beleben sich. Das Auge wird heller, klarer. Sein Arm deutet auf das Uranidenschiff, auf die Gegenstände, die außerhalb des Schiffes lagern…
Die beiden verstehen seinen Wunsch. Sie gehen in das Schiff, bringen daraus viele Dinge. Ihre Mienen deuten an, sie wissen nicht den Zweck, den Gebrauch…
Der Kranke nimmt das Buch und schreibt… die beiden verstehen.
Jetzt kommt der eine der beiden, bringt ein großes Buch. Die Augen des Uraniden leuchten bei seinem Anblick. Ein kostbarer Schatz muß es sein…
Wieder beginnt er zu schreiben. Die beiden Fremden, über ihn gebeugt mit glänzenden Blicken… die Mienen aufs äußerste gespannt, verfolgen sie die Erklärungen des Uraniden. Doch das Buch ist groß, umfangreich sein Inhalt.
Die Mittagsstunde kommt heran. Immer wieder bedarf der Kranke der Arznei. Endlich, schon neigt sich die Sonne zum Untergang, ist die Kraft des Kranken erschöpft. Er schließt die Augen…
Da, als die Sonne eben noch ihre letzten Strahlen über den Horizont sendet, wacht er noch einmal auf. Seine Hand deutet mit schwacher Gebärde zu der Schlucht. Sie sinkt zurück… streckt sich noch einmal den Ankömmlingen entgegen, drückt deren Hände… dann fällt sie matt zur Seite. Der Sonnenball taucht in die Fluten des Westmeeres unter, da kommt der letzte Hauch von seinen Lippen. Er ist tot.
Der nächste Tag… wieder steht die Sonne am Himmel. Das Lager vor dem Zelt ist leer. Die beiden Fremden kommen von der Schlucht her geschritten. Ihr Schiff erhebt sich, fährt fort nach Osten, der Sonne zu…«
Lee schwieg. Mit verhaltenem Atem warteten alle darauf, daß er weitersprechen würde. Doch nicht lange, dann verrieten seine tiefe Atemzüge, daß er eingeschlafen sei.
Hortenses Hand glitt sanft über sein Gesicht. Sie nickte stumm, erhob sich dann, stand einen Augenblick sinnend da, die Augen wie in weite Fernen gerichtet. Ihre Lippen flüsterten leise: »Ja! Alles, was er sagte, war kein Traum. So war es. Unser Suchen ist vergeblich. Größere, Stärkere waren vor uns hier. Von der Erde sind sie gekommen. Das Kreuz, das Symbol des Todes für die Erdenmenschen, sagt es. Sie haben den Hort gehoben.«
*
Der Rauch im Osten! Dort mußten die Uraniden sein!
Canning schritt allein im Tale jenes Baches der aufgehenden Sonne zu. Als am gestrigen Abend Oberst Robartson, ins Lager zurückgekehrt, ihm die Worte Lees mitgeteilt hatte, was der von einer Rauchsäule über den Osthügeln sah, war sein Entschluß gefaßt. Eine letzte Möglichkeit war es, den Aufenthalt der Uraniden zu entdecken.
Schon weit über eine Stunde war er unterwegs. Immer wieder schaute er sich um, ängstlich, ob nicht andere ihm folgten. Endlich hatte er den Höhenrücken erreicht. Mit seinem Glase suchte er den Horizont weithin nach Osten ab. Doch vergeblich… Enttäuscht ließ er das Glas sinken. Da, sein bloßes Auge verriet es ihm – weiter nördlich, nicht allzu weit hing ein dünner Rauchschleier.
Er nahm sein Glas zu Hilfe, geriet in Zweifel. Die Morgensonne, eben über den Horizont gestiegen, mochte wohl die nächtlichen Nebel aus einer feuchten Stelle
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