Das Erbe der Vryhh
eingeschaltet war, schienen die Harfentöne einfach verschluckt zu werden. Nach der letzten Weise schlang Shadith die Arme um die Harfe und schwieg, wartete darauf, daß sich der Ajin zeigte, fragte sich, welche Worte er an sie richten mochte. Wenn er ihr überhaupt irgend etwas sagte. Es erregte ihr Mißtrauen, daß er sich während der letzten Tage von ihr ferngehalten hatte.
Der Arzt zog sich die Stöpsel aus den Ohren und eilte interessiert von Anzeige zu Anzeige, beriet sich murmelnd mit seinen Assistenten, sprach in einen kleinen Recorder und ignorierte Shadith, die ganz froh darüber war, nicht von ihm belästigt zu werden - obgleich sie sich etwas wünschte, mit dem sie sich hätte beschäftigen und ablenken können. Sie überlegte immer wieder, wieviel von dem sie verraten hatte, was sie besser für sich behalten sollte. Sie wußte sehr wohl, daß ein guter Forscher selbst aus einer Ansammlung zusammenhanglos und auf den ersten Blick unwichtig erscheindender Daten wichtige Schlüsse ziehen konnte.
Ihr erster Besitzer war ein reisender Abenteurer gewesen, mit einem besonderen Gespür für gute Gelegenheiten. Mit Frauen konnte er eigentlich nur wenig anfangen, liebte dafür mit ganzer Hingabe die Musik. Er hatte sie aufgrund ihrer zarten und geschickten Finger gekauft, und weil er sie hörte, als sie in ihrer Zelle eine leise Melodie summte. Sie war mit ihm unterwegs, eignete sich all die Fertigkeiten an, in denen er sie unterweisen konnte, profitierte von seiner zögernden Zuneigung und der Bewunderung, die er der Zuverlässigkeit ihres Gedächtnisses und der Schnelligkeit ihres Lernens entgegenbrachte. Sie trauerte, als er ums Leben kam, von einem aufgebrachten Liebhaber umgebracht wurde - nicht nur deswegen, weil sie daraufhin mit einem neuerlichen Verkauf rechnen mußte, sondern weil sie an ihm gehangen hatte und zum zweitenmal in ihrem Leben alles verlor, was sie besaß.
Der Ajin trat ein, blieb vor ihr stehen und runzelte die Stirn.
»Warum?«
Shadith senkte den Kopf und blickte auf ihre Hände. »Es war das Lied, das ich auch auf dem Platz gespielt und gesungen habe.«
Es wich einen Schritt zur Seite. Hinter ihm stand der dürre Adjutant namens Manjestau. »Nun?« fragte er.
»Er hörte sich ganz danach an.« Manjestau kam näher heran, betrachtete die Harfe und sah sich dann im Zimmer um. »Vielleicht hat sie recht. Vielleicht braucht sie wirklich die Pollen.« Er musterte sie erneut. »Und ihren entstellten Freund.«
Der Ajin kam auf Shadith zu und lächelte sie an. In seinen Augen funkelte nun wieder Gutmütigkeit. »Sieht ganz danach aus, als hätten wir auf dich hören sollen, Mädchen.«
Sie bewegte sich ein wenig, versteifte sich, als er einmal mehr die Stirn furchte. »Ich heiße Shadith«, erwiderte sie ruhig.
»Nun gut, Shadith, ich kann noch immer nicht ganz an das glauben, was der Bericht behauptete. Hmm. Morgen, denke ich.
Irgendwie draußen.«
Sie zupfte an einer Saite, wartete, bis der Ton verklang. »Wir sollten ein Abkommen treffen, Sikin Ajin. Ich spiele nicht nur, weil mir danach ist. Ich verdiene mir damit meinen Lebensunterhalt. Ich verkaufe mein Talent, verschenke es nicht.«
»Derzeit würde ich es nicht einmal als Geschenk akzeptieren.
Überzeuge mich von deinen Fähigkeiten.«
»Einverstanden. Morgen. Eine kostenlose Vorstellung. Danach verlange ich Bezahlung.«
»Wenn du es tatsächlich wert bist, kommen wir schon irgendwie überein. Jetzt aber möchte ich dir etwas zeigen.«
»Soll ich die Harfe mitnehmen?«
»Das ist nicht nötig.«
»Dann erlaub mir bitte, sie in die Schatulle zurückzulegen.«
Der Ajin nickte.
Shadith begann damit, die Sensoren zu lösen. Einer der Gehilfen brummte Verwünschungen, hastete herbei und griff nach den kleinen Analysegeräten, die das Mädchen bereits zur Seite gestrichen hatte, stieß die Hände Shadiths fort, als sie nach weiteren griff. Daraufhin lehnte sie sich zurück und wartete, während der Assistent die Sensoren mit großer Vorsicht abnahm. Sie beobachtete den Ajin, der im Zimmer auf und ab ging, eine Zeitlang verharrte, um mit dem Arzt zu sprechen, und die Anzeigen auf den Konsolen betrachtete. Sie war sicher, daß er kein wirkliches Interesse an ihnen hatte, sich nur die Zeit vertrieb, bis sie fertig war. Er stellte einen ernsten Gesichtsausdruck zur Schau, so als wisse er ganz genau, was die Werte der Skalen und Projektionsdiagramme bedeuteten. Offenbar dachte er nicht mehr daran, welche Regeln er dem Verhalten
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