Das Erbe der Vryhh
Freunde hier.« Aleytys schloß die Augen. »Gefiele es dir, hier zu leben, Schatten?«
»Im Winter auf keinen Fall. Ich finde es nett, auf Besuch hierherzukommen und eine Woche oder so zu bleiben - dies ist eine gemütliche kleine Welt.« »Wolff?« Aleytys schlug die Augen wieder auf und sah Shadith an.
»Mhm. Hier verändert sich praktisch nichts. Es gibt viel Platz und Freiraum, und angesichts der Heimanteile für die Jäger kann man recht gut leben. Ich verrate dir ein Geheimnis, Lee: Ich mag vor allen Dingen Planeten, auf denen mehr los ist, auf denen es rauher zugeht, die voller Leben und Gefahren sind. Ich ziehe es vor, wenn dauernd irgend etwas geschieht, und ich mag es, mich in einem Schmelztiegel vieler Völker, Rassen und Kulturen zu befinden. In dieser Hinsicht ist Wolff zu schlicht, zu überschaubar. Hier herrscht Konformität. Ob ich hier für immer leben möchte? Nein, keineswegs.« Erneut schloß Aleytys die Augen. »Und doch …«
»Na schön, ich weiß: Du brauchst das. Das meinte ich ja damit.
Gönn dir ein wenig Ruhe. Du benötigst einen Ort, an dem du dich entspannen und nachdenken kannst.« Shadith ließ die Hände sinken, legte sie auf die Armlehnen des Sessels und bedachte Aleytys mit einem flüchtigen Lächeln. »Und wenn man Ruhe sucht, so kommt Wolff einem Paradies gleich.« Sie drehte sich halb auf die Seite. »Deine Mutter läßt sich Zeit.«
»Sie versprach mir, zu kommen.« Aleytys starrte ins Feuer. »Sie wird bald eintreffen.«
»Aleytys.« Das Gesicht auf dem Komschirm war ernst und auch besorgt.
»Shareem.« Aieytys fühlte, wie auch in ihr eine gewisse Anspannung entstand.
»Ich befinde mich in einem geostationären Orbit über dem Raumhafen. Komm für eine Weile hoch zu mir. Ich schicke dir eine Fähre.«
»In Ordnung. Hast du vor zu landen?«
»Wenn du nichts dagegen hast, verschieben wir das auf einen späteren Zeitpunkt,«
»Wie du meinst. Ich brauche etwa zwanzig Minuten, um das Landefeld zu erreichen.« Aleytys zögerte. Es fielen ihr keine weiteren Worte ein, und sie wußte nicht so recht, wie sie das kurze Gespräch beenden sollte. Sie und Shareem blickten sich eine Zeitlang schweigend an und öffneten dann beide den Mund. Shareem verzog das Gesicht, hob die eine Hand, ließ sie wieder sinken. Und ihr Abbild auf dem Schirm verblaßte.
Der puppenartige Androide verbeugte sich elegant und ging. Aleytys stand in der Mitte eines ovalen Zimmers und sah sich um. Gras und Gewächse, ein absurd wirkender kleiner Wasserfall, dessen Plätschern einer Musik gleichkam, wie man sie nicht im Herzen eines Sternenschiffs erwartete. Licht, das aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien und sich durch die Tönung eines wolkigen Morgens im Frühling auszeichnete. Sie nahm den Duft feuchter Erde und taubesetzter Blätter wahr, die würzigen Aromen von Blumen und Blüten. Irgendwo in der Ferne sang ein Vogel.
Aleytys hörte dieses Trillern nun zum erstenmal, und doch war es ihr auf seltsame Weise vertraut, erinnerte sie an ein Dutzend Vögel auf einem Dutzend verschiedener Welten, die sie besucht hatte.
Eine Kammer im Raumschiff ihrer Mutter, erfüllt von der Präsenz Shareems, obgleich sie noch gar nicht zugegen war. Aleytys bewunderte den stillen Zauber dieses Ortes und fühlte ein diffuses Unbehagen in sich wachsen, so als mache sie Anstalten, als Erwachsene in den Schoß ihrer Mutter zurückzukehren. Irgend etwas ließ sie schaudern. Komm schon, dachte sie. Genug ist genug. Hier habe ich schließlich nichts zu befürchten.
»Aleytys«.
Die Stimme erklang hinter ihr. Aleytys drehte sich langsam um.
In ihrer Magengrube verknotete sich etwas, ein Krampf, der ihr beim Atmen Schmerzen bereitete. Ihre Mutter stand unter dem anmutig geschwungenen Bogen eines Aphnyta-Zweiges, und die herabbaumelnden Speerkopfblätter raschelten über dem Kopf und den Schultern.
Shareems grüne Augen weiteten sich. Und Aleytys spürte, wie sich tief in ihr Furcht und Sehnsucht einander abwechselten. Sie unterdrückte diese Empfindungen. Furcht? Sie hielt unwillkürlich den Atem an, als sie sich plötzlich erinnerte - ohne den Grund dafür zu erahnen. Sie sah sich selbst, wie sie sich an Bord ihres eigenen Schiffes zum Vidschirm vorbeugte und Stavver anflehte, ihr ihren Sohn zu zeigen. Eine Bitte, die abgelehnt wurde. Weil ihr Sohn sie so sehr haßte, daß er sich sogar weigerte, seine Mutter anzusehen.
An der Grundfeste des Ichs Aleytys’ zerbrach etwas, etwas Kaltes und Hartes, von
Weitere Kostenlose Bücher