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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Der Eisenkopf namens Megathen massierte ihm die Schultern und den Rükken und sprach leise mit ihm. Leise Geräusche wehten durch den Raum: das gedämpfte Rauschen von Wasser, das Summen von Insekten, wie während eines lauen Sommerabends, dann und wann das Rascheln von Zweigen.
    Willow trat an Bodri vorbei, hob den Bogen und ließ den Pfeil davonsausen. Sie lächelte, als er das Gesäß des Alten Vryhh traf und zwei Fingerbreit tief in das Muskelgewebe eindrang.
    Megathen gab einen erschrockenen Schrei von sich und griff nach dem Pfeil. Hyaroll stöhnte und wollte sich auf die andere Seite rollen. Bodri stürmte los, stieß Willow fast zu Boden und griff Megathen an, wickelte seine Tentakel um den Eisenkopf und zog ihn fort von der Liege. Willow fand das Gleichgewicht wieder, setzte den zweiten Pfeil auf die Sehne und traf damit die Schulter des Alten Vryhh, hoch oben, dort, wo sich die Muskeln konzentrierten. Sie wollte unbedingt vermeiden, ihn ernsthaft zu verletzen.
    Kurze Stille herrschte, als Hyaroll sie anstarrte und länger gegen die Poosha-Wirkung ankämpfte, als Willow es für möglich gehalten hätte. Der Alte Steinerne Vryhh. Überraschenderweise lächelte er und hob wie grüßend die Hand. Bevor er diese Geste noch zu beenden vermochte, konnte sein Metabolismus dem Gift nicht länger widerstehen, und bewußtlos sank er auf die Liege zurück.
    Brodi hielt Megathen weiterhin fest, obwohl der Eisenkopf in dem Augenblick erstarrte, als sich Hyaroll nicht mehr rührte. Willow tanzte um die Liege herum. »Schlaf lange, ohne Traum, schlaf lange, Alter Vryhh, ohne Traum«, sang sie dem Alten Steinernen Vryhh und schloß ihm die Augen. Sie zog die beiden Pfeile aus dem reglosen Körper und warf sie beiseite, griff anschließend in den Beutel an ihrem Gürtel und bestrich die kleinen Wunden mit einer speziellen Salbe, um die Blutungen zu stillen. Sie brauchte sich keine Sorgen über Viren oder Bakterien zu machen, die sich in diesen Wunden niederließen, denn in den Stasisboxen schliefen auch derartige kleine Teufel.
    Sonnenkind schwebte herein, und seine Gestalt verdichtete sich.
    »Brodi, du kannst Megathen loslassen. Ich brauche seine Arme.«
    Als goldschimmernde Wolke verharrte er über Hyaroll. »Willow-Willow, der Kephalos übermittelt dir seinen Glückwunsch: Du hast eine sichere Hand und verfehlst nicht das Ziel.« Er schwebte zur Tür zurück. »Megathen, bring Hyaroll in die Hibernation. Willow, du und Brodi - ihr solltet eine Weile hierbleiben. Die nächste Sache wird, äh, ein wenig unangenehmer.« Willow nickte. Sie verspürte nicht den Wunsch, sich erneut an jenen gräßlichen Ort zu begeben und die vielen Reihen der Stasisbehälter zu sehen, die Kästen und Boxen, die sich bis in die Dunkelheit hin erstreckten, Fleischkonserven, gefüllt mit unterbrochenem Leben.
    Megathen hob Hyaroll an und folgte Sonnenkind aus dem Zimmer.
    Willow stellte den Bogen zur Seite, nahm auch den Köcher ab, vergewisserte sich, daß die Poosha-Flasche zugestöpselt war, und legte sie ebenfalls aus der Hand. Die Otterpräsenz in ihr verflüchtigte sich, und sie verspürte einen plötzlichen Kummer. Sie hockte sich auf den weichen Läufer. Nach ihrem Empfinden war es zu warm und trocken in diesem Raum; dennoch blieb sie ruhig sitzen und versuchte, sich ein angemessenes Lied ins Gedächtnis zurückzurufen. Ihr Volk hatte nie irgendwelche Schlachten ausge-fochten, obgleich es dann und wann zwischen zwei Clans zu einer Fehde gekommen war, die sich vor dem Pa’tanish nicht schlichten ließ.
    Die Auseinandersetzung währte dann so lange, bis einer der Clans keine Kämpfer mehr hatte. Ja, dachte sie, ja, ich bin die letzte Kriegerin, und mein Feind ist geschlagen. Ein Lied, das nichts weiter nötig machte, als nur jemanden, der es sang. Ein Lied, für das es keinen Tanz gab, weder Triumph noch Trauer. Sie kauerte sich neben die gepolsterte Liege, und vor dem Hintergrund des Rauschens und leisen Summens stimmte sie die Melodie des letzten Lebens an.
    Während Willow sang, kehrte Sonnenkind zurück. Als sie verstummte, kam er zu ihr und nahm in der Gestalt eines Otters neben ihr Platz. »Kephalos sagt: Danke für das Lied.«
    Bodris Fühler zitterten. Willow gab keine Antwort.
    »Es ist vollbracht. Hyaroll ruht in einem Stasisbehälter. Er kann jetzt nicht mehr sterben, und somit brauchen auch wir nicht den Tod zu fürchten.«
    Nach einiger Zeit rührte sich Bodri und schüttelte sich, wodurch sein Rückenschild wie eine Glocke

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