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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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beiden Jungen, lächelte angesichts ihres Gebarens und des Interesses, das sie einander entgegenbrachten. Sie machte sich einen Moment Sorgen über die Redseligkeit Linfyars und fragte sich, ob er zuviel darüber verriet, aus welchem Grund sie gekommen waren, erinnerte sich dann aber daran, daß er kein Narr war und die Überlebenskünste auf sehr harte Art und Weise erlernt hatte. Wenn er in eine neue Rolle schlüpfte, so war das ebenso selbstverständlich für ihn wie das Atmen. Er fand Gefallen daran, Tjepa in die Irre zu führen und ihm nur die Geschichte zu erzählen, auf die er sich zuvor mit Shadith geeinigt hatte. Daraufhin entspannte sie sich. Dann und wann schienen die Konturen ihrer Umgebung zu verfließen, wenn eine neue Verwirrungsphase begann, doch diese Desorientierungen waren jetzt kaum noch der Rede wert. Tatsächlich empfand Shadith sie inzwischen sogar als recht angenehm, genoß dabei das Gefühl zu schweben. Als sich das Bild vor ihren Augen klärte, reagierte sie fast mit Bedauern darauf. Nach einigen weiteren Kurven erschauerte Linfy und blieb stehen. Tjepa schwieg und führte seinen neuen Freund, bis der wieder ganz in die Wirklichkeit zurückgefunden hatte, und im Anschluß daran setzten sie ihr angeregtes Gespräch fort.
    Tjepa geleitet sie zu einer großen Herberge, die wie planlos gebaut wirkte und sich in der Nähe der Stadtmauer befand. Sie bestand aus einzelnen und von einander getrennten Unterkünften, die mit einem Laufsteg verbunden waren. Darüber spannte sich ein Dach, das von unregelmäßigen Pfeilern gestützt wurde, die an einigen Stellen den Eindruck erweckten, als seien sie aus dem Boden gewachsen und nicht von Werkzeugen geformt worden. Über die Dächer der Quartiere hinweg und an den Pfeilern empor wanden sich dicke Reben mit scharlachroten und safrangelben Blüten und zartem Blattgewebe. Die hüttenartigen Unterkünfte wiesen hohe und schmale Fenster mit getöntem Glas und verzierten Einfassungen aus Blei auf. Sie bestanden aus Holz, dessen Färbung zu einem silbrigen Grau verwittert war, und gedeckt waren sie mit groben Schindeln in der gleichen Tönung. Der Herberge haftete ein Eindruck von Ruhe und Geborgenheit an. Nach dem Empfinden Shadiths übermittelte sie ihr Botschaften von Leuten, die zu berühren und zu streicheln liebten, die einen guten Blick für Form und Stil hatten, die nichts hielten von Symmetrie und langweiligen Wiederholungen, die es vorzogen, eine bestimmte Grundeinstellung subtilen Veränderungen zu unterziehen. Sie sang zu ihr: Wir sind ein stolzes und unabhängiges Volk: wir schätzen die Harmonie mit der Erde, der Luft und die Eintracht untereinander. Sie fühlte sich wohl an diesem Ort. Als sie Tjepa durch einen breiten Bogengang folgte, dachte sie: Eines Tages kehre ich hierher zurück, wenn es keinen Auftrag durchzuführen gilt und ich Zeit genug habe.
    Im Innern des Ringes aus Unterkünften und der überdachten Laufstege fiel der Blick Shadiths auf einen gepflegten Küchengarten, in dem sowohl einheimische Gemüsesorten und Kräuter wuchsen als auch Pflanzen von der Heimatwelt Pajungg. Beide Arten gediehen prächtig und machten jene Art von Harmonie mit der Erde deutlich, die Shadith bereits zuvor in der Ausstrahlung der Herberge gespürt hatte. Sie folgte Tjepa und Linfyar über den Sprossenweg zum Turm in der Mitte der Anlage. Er war annähernd rund und sah aus wie der abgeschnittene Stamm eines gewaltigen Kekar-Otar-Baumes, ragte mehr als dreimal so weit in die Höhe wie die Hütten. In die Außenfläche eingelassen waren ähnliche schmale und hohe Fenster, und ihre Anordnung wirkte wie zufällig, was kaum Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Innern ermöglichte. Shadith ahnte jedoch, daß sich jene Struktur durch die gleiche Ungezwungenheit auszeichnete wie auch der überdachte Weg. Es gefällt mir hier, wiederholte sie in Gedanken und bedachte den Rücken Tjepas mit einem Lächeln.
    Tjepas Mutter Perolat war groß und schlank, sah aus wie eine Schwester des Avosingers, der sich in einem der äußeren K’saha in die meditative Trance zurückgezogen hatte. Shadith hatte bereits viele Männer und Frauen gesehen, die einen solchen Eindruck erweckten, die zugleich ruhig und fähig wirkten, auf kompetente Weise gelassen. Sie hatte solche Personen dabei beobachtet, wie sie dahinschlenderten und sich leise miteinander unterhielten, während ihres Gesangs auch in der Menge der Zuhörer. Perolat saß in einem bequemen Sessel, die Beine von sich

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