Das Erbe der Vryhh
sich, hob den Kopf und blickte durch das transparente Domdach gen Himmel. Wolkenlos, ein mattes Blau, von der Sonne keine Spur zu sehen. Sah sie nach Osten? Aleytys fand keine Antwort auf diese Frage. Sie hatte sich noch nicht an Vrithian gewöhnt. Sie lächelte behutsam.
Shareem zwinkerte ihr zu und überraschte sie damit. Für einen Augenblick, nur für den Bruchteil einer Sekunde, gab sie sich wieder als die offene und fröhliche Frau, die sie auf Wolff gewesen war. Loguisse starrte weiterhin in die Leere.
»Ich bin noch immer nicht ganz wach.« Aleytys hob entschuldigend den einen Arm und zeigte das leere Handgelenk. »Wie spät ist es?«
Loguisse runzelte die Stirn und wandte sich ihr zu. »Sechs Stunden nach Mittag. Hier auf Vrithian dauert der Tag achtundzwanzig Stunden.«
»Dann wäre dies also das Abendessen.«
»In gewisser Weise - obgleich meine Bediensteten dir alles anbieten können, wonach dir der Sinn steht.«
»Das ist ja herrlich. Habt ihr bereits gegessen?«
»Nein, wir haben auf dich gewartet. Sag Korray, was du möchtest.«
»Oh. Hm. Fleisch, gleich von welcher Art, grünes Gemüse, Brot. Hiesige Spezialitäten. Was die Art der Zubereitung angeht sie ist mir gleich. Und Cha, falls du einen Vorrat davon hast.«
Korray neigte sich ein wenig zur Seite. Dadurch veränderten sich die Licht- und Schattenmuster auf den ebenen Flächen der metallenen Gestalt, und es sah so aus, als lächle die Androidin.
Und sie war auch glücklich, freute sich mit ebensolcher Intensität über die Rückkehr Loguisses wie vor ihr Krasis. Aleytys blickte auf ihre Hände. Handelte es sich bei dieser emotionalen Reaktion um ein Programm? Oder etwas, das sich langsam in den Androiden entwickelt hatte, im Verlauf der vielen Jahrtausende, die sie ihrer Herrin dienten? Aleytys hoffte letzteres. Die erste Möglichkeit bereitete ihr Unbehagen.
»Korray und Krasis wurden beide von Synkatta geschaffen. Was Androiden anging, war er ein wahrer Künstler.« Loguisse sah Aleytys an und lächelte heiter.
»Synkatta. Wenn er dazu fähig war, so . . .«
Loguisse zuckte mit den Schultern. »Irgendwann verausgabte sich sein Talent.«
»Aha. Wo kann ich Kell finden?«
»Du verlierst keine Zeit.«
»Ich habe schon zuviel verschwendet. Ich brauche Informationen. Ich kann nicht im dunklen gegen ihn kämpfen, und ich darf nicht zu lange in der Defensive verweilen. Andererseits wäre es sicher nicht ratsam, mir von ihm die Bedingungen dieses Krieges aufzwingen zu lassen. Ich muß dort gegen ihn vorgehen, wo er sich besonders sicher fühlt.«
Loguisse nickte. »Ich beauftrage Krasis damit, all die Daten, die mir über Kell und seine Ressourcen zur Verfügung stehen, zu einem Bericht zusammenzufassen. Genügt das?«
»Wie soll ich dir diese Frage beantworten, bevor ich mich mit jenem Bericht befaßt habe? Ist es schon zu spät, um eine Verbindung zu Hyaroll herzustellen?«
»Offenbar hast du es eilig, meinen Dom wieder zu verlassen.
Soll ich das als Affront mir gegenüber verstehen?« Die Stimme kühl, ein Funkeln in den grünen Diabasaugen, die Verärgerung wie ein Nebel, der seinen Ursprung in ihr hatte. Eine warnende Erinnerung daran, Aleytys solle die Hilfe Loguisses nicht als zu selbstverständlich erachten.
Aleytys machte Anstalten, Loguisse zu erklären, sie wisse davon, daß sie sich angesichts der beiden Gäste in ihrem Dom nicht sehr wohl fühle, aber sie verschluckte die Worte, als sie die Vryhh eingehender musterte. Sie dachte kurz nach und sagte dann:
»Ich bringe dich in Gefahr, Loguisse, Anassa. Solange ich mich in deinem Dom aufhalte. Es war sehr freundlich von dir, uns trotz der Drohung Keils zu dir einzuladen. Und die Bombe … fast hättest du dafür mit deinem Leben bezahlt. Soll meine Gegenleistung für das alles etwa darin bestehen, dich noch mehr in Gefahr zu bringen?«
Loguisse schwieg eine Zeitlang, das Gesicht ausdruckslos, Überlegungen und Gefühle so gut kontrolliert, daß Aleytys praktisch gar nichts von ihr empfing, abgesehen von allgemeiner Skepsis - und einem Hauch Erleichterung. »Ich habe bereits versucht.
Hyaroll zu erreichen«, entgegnete sie nach einer Weile. »Aber er nahm meine Anrufe nicht entgegen.« Sie lehnte sich zurück, als drei Androiden hereinkamen und einen Servierwagen heranschoben. »Nach dem Essen unternehme ich einen weiteren Versuch.«
An jenem Abend hatt Loguisse kein Glück. Sie mußte sich bis zum späten Morgen des folgenden Tages gedulden, bevor Hyaroll reagierte.
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