Das Erbe der Vryhh
schließlich nicht einfach vor ihn treten und sagen: Hier bin ich; schlag zu. Entweder antwortete er mit einem >Nein, danke<, oder er erledigt mich. O
nein, wenn ich mich für eine solche Taktik entscheide, wird er so lange den Daumen auf mich drücken, bis ich völlig zerquetscht bin. Laß mich jetzt in Ruhe. Ich denke nach und versuche, mir etwas Besseres einfallen zu lassen.«
>Du bist gereizt, wie?<
»Ja, das bin ich.«
>Wenn dir meine Gesellschaft nicht mehr gefällt …<
»Na, wer ist denn jetzt empfindlich?« Aleytys strich ihr Haar zurück und suchte nach etwas, um die Strähnen zusammenzubinden. Als sie nichts fand, ließ sie da:. Haar auf die Schultern zurückfallen und betrat das Schlafzimmer. »Du hast die Bombe entfernt und mich gerettet. Glaubst du. das überraschte ihn?«
>Der Einsatz der Raketen hatte eigentlich keinen Sinn, und das muß Kell auch gewußt haben … Vielleicht wollte er dich damit veranlassen, ihn zu unterschätzen. Vielleicht wollte er dich von der Richtung ablenken, aus der der nächste Angriff erfolgen wird. Wie dem auch sei: Bestimmt plant er bereits neuerliche und schlimmere Aktionen gegen dich.<
»Ich weiß.« Aleytys trat an die Gewänder heran, betastete den Stoff und entschied sich für das dunkelgrüne Kleid. Sie raffte es zusammen und stülpte es sich über den Kopf. Ein mehrmaliges und vorsichtiges Zupfen, und es fiel an ihrem Körper herab, paßte sich ihr so gut an, als sei es nach ihren Maßen angefertigt worden - was wahrscheinlich auch der Fall war. »Bete zu deinen Göttern - wer immer sie auch sein mögen -, daß ich von Loguisse die Informationen bekomme, die ich brauche.« Sie strich Verschlußsäume glatt.
»Die Informationen, die wir benötigen.«
>Danke, daß du mich daran erinnerst.<
»Dein Sarkasmus erheitert mich nicht sonderlich.«
>Denke daran, Lee. Vergiß nicht, daß ich bei dir bin, bis du einen neuen Körper für mich findest.<
»Wie könnte ich das vergessen?« Aleytys schob die Füße in die absatzlosen Schuhe, die zu dem Kleid paßten. »Halte die Augen offen, o klügster aller Mentoren. Wenn die heiße Phase dieses Krieges beginnt, müßte sich uns ein breites Möglichkeitsspektrum eröffnen. Zwick mich in die Seele, wenn du eine Chance siehst, die deinen Vorstellungen entspricht. Weise mich darauf hin, so wie Shadith. Was sie jetzt wohl gerade macht?«
>Bestimmt steckt sie bis zu den Ohren in Schwierigkeiten, für die sie selbst verantwortlich ist.<
»Vermutlich. Aber ich wäre lieber bei ihr als hier.«
>Wirklich?<
»Bei den Höllen Aschlas - ich weiß es nicht. Laß mich jetzt in Ruhe.«
Korray führte Aleytys in ein Zimmer, das eine kühle Mischung aus Glas und Stahl darstellte. Der Boden entsprach dem Design der Wände; weiße Cloisonne-Füllungen, die metallene Konturen betonten. An einigen freien Stellen wuchsen Ranken mit herzförmigen und blaßgrünen Blättern und stellten Oasen der Wärme im visuellen Frost aus weißen und silbrigen Tönen dar. Durch einen Torbogen vernahm die junge Frau das leise Gurgeln von Wasser, das aus einigen Öffnungen in einer kantigen Stahlskulptur drang und melodisch in ein zylindrisches Becken tropfte. Die Steine des Bassins glänzten in einem blutroten Ton, und die spiegelnde Oberfläche des kleinen Teiches reflektierte sowohl kaltes kristallenes Glitzern als auch das verwelkt wirkende Grün der Blätter.
Shareem und Loguisse saßen an einem aus Glas und Stahl bestehenden Tisch, der für drei Personen gedeckt war. Die Herrin des Domes beobachtete geistesabwesend den Springbrunnen und dachte offenbar über irgendein kompliziertes Problem nach. Auch Shareem schwieg. Sie wirkte besorgt und müde und war damit beschäftigt, eine hellrote Serviette auseinanderzurollen und dann zusammenzufalten, wieder und immer wieder. Wenn das ein Beispiel für das anheimelnde Leben zu Hause ist, so wundert es mich nicht, daß sie sich die meiste Zeit über von Vrithian fernhält. Aleytys näherte sich den beiden Frauen und fragte sich dabei, wie die Kindheit Shareems beschaffen gewesen sein mochte, wie sie die Jahre vor dem Kennenlernen Kells verbracht hatte, lange vor dem Tod ihrer Mutter. Ein plötzlicher Gedanke (initiiert von dem Anblick der fragil erscheinenden und aus silbrigem Metall bestehenden Korray): Kümmerten sich Androiden um die Kinder der Vrya? Das würde eine Menge erklären. Das elegante Kunstwesen zog den dritten Sessel vom Tisch fort und wartete, bis Aleytys darauf Platz nahm. Sie setzte
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