Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
ausgeprägt, dann nurmehr Schatten und Schemen. Wie viele Jahre lang war er damit beschäftigt gewesen, den Dom Synkattas für Aleytys vorzubereiten? Wie viele Jahre lang war dies Heim ungeschützt gewesen, bevor Hyaroll die Verteidigungssysteme zum letztenmal kontrolliert und dann aktiviert hatte? Zwölf Jahre, möglicherweise noch mehr. Zeit genug für Kell, um zu begreifen, daß Aleytys nach Vrithian kommen würde, Zeit genug für ihn, um sie zu fürchten.
    Um sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen in Erfahrung zu bringen. Ein Dutzend Jahre für die Vollendung seiner Pläne. Wahrscheinlich hatte er sie, Shareem, darin gar nicht berücksichtigt. Er kennt mich gut, und er weiß, daß ich Aleytys in diesem Kampf keine große Hilfe sein kann. Sie schauderte plötzlich, und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie fühlte sich jäh entblößt und völlig hilflos. Was erwartete sie hier? Eine Bombe? Durchaus denkbar. Viren, die eine tödliche Krankheit verursachten? Feuer?
    Gift? Tausende von verschiedenen Möglichkeiten standen Kell zur Verfügung. Shareem erhob sich und bewegte sich betont langsam und vorsichtig, befürchtete, etwas zu berühren, das die Vernichtung des Domes auslösen konnte. Aber sie vermochte nicht einfach dahinzuschweben, war dazu gezwungen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, auf dem Boden, ihn mit ihrem Gewicht zu belasten.
    Sie mußte Luft holen, obgleich jeder warme Atemhauch die Todesmaschinerie auslösen mochte, ganz gleich, wie die auch beschaffen war. Welche Götter auch immer es geben mag: Ich flehe euch an, bitte zwingt mich nicht dazu, diejenige zu sein, die den Tod meiner Tochter bewirkt. Zögernd und steifbeinig näherte sie sich dem Haus und verharrte einige quälende Sekunden lang, bevor sie die Türklinke drückte. Sie mußte sofort zu Aleytys und sie warnen wovor? Kell, Kell - immer war es Kell. Shareem ließ die Tür offen, doch dann fiel ihr ein, daß es sich auch dabei um den Auslösungsfaktor handeln konnte. Ihre Unsicherheit nahm zu. Sie ging über den glänzenden Parkettboden - unter einer der hölzernen Fliesen könnte sich ein Sensor verbergen, der auf mich reagiert und einen kurzen Zündimpuls an die Bombe (wenn es eine Bombe ist) sendet.
    Welchen Weg habe ich vorher genommen ? Ist es sicher, ihn noch einmal zu beschreiten, oder soll ich einen anderen nehmen ? Sie schlich durch den Gang, der in Richtung des Lesezimmers führte, erinnerte sich an Pein, an die Schmerzen einer sehr schweren Geburt, erinnerte sich an das Baby, das dunkel an ihrer Brust ruhte, an den Säugling mit rotem Haar, an die Tochter, die schon im Alter von wenigen Tagen einen ausgeprägten eigenen Willen gehabt hatte, an die kleinen Fäuste, die ihre Brüste kneteten, während das Baby mit unerschütterlicher Entschlossenheit saugte - erinnerte sich an all die Dinge, die sie vor vielen Jahren aus ihrem bewußten Denken verdrängt hatte. Sie streckte die Hand nach der Sensorplatte aus, um die Tür des Lesezimmers zu öffnen, in der es eine Komstelle gab, die es ihr gestattete, eine Verbindung zu Aleytys in der zentralen Kammer herzustellen. Sie zögerte - mag dies derAuslöser sein ?-, betätigte den Öffner und betrat den Raum auf Zehenspitzen, als ginge sie auf Eierschalen.
    Der Schreibtisch. Der Kommunikator auf der einen Seite, ein geneig’er Bildschirm, in das Holz integriert, eine Sensortafel.
    Erneut streckte Shareem die Hand aus, und wieder zögerte sie, einen der matt glühenden Schaltpunkte zu berühren. Mehr als ein dutzendmal hatte sie die Apparatur bereits benutzt, um mit Aleytys zu sprechen, um sie dazu aufzufordern, die Herzkammer zu verlassen und ihr bei einer warmen Mahlzeit Gesellschaft zu leisten. Und wenn gerade dieser Anruf die Vernichtung des Domes herbeiführte? Sie begann zu zittern. Wenn sie sich mit Aleytys in Verbindung setzte … wenn nicht … wenn sie das Gerät einschaltete und Aleytys damit umbrachte …
    Ganz gleich, was sie tat oder unterließ - alles konnte die Bombe explodieren lassen. Oder auch nicht. Handeln oder nichts unternehmen. Fast hätte Shareem vor Verzweiflung laut aufgeschrien. Und selbst das - ein Schrei - mochte sie töten. Der Klang ihrer Stimme. Sie seufzte, preßte jedoch sofort die Lippen aufeinander, hielt einige Sekunden lang die Luft an und starrte dann auf den Komschirm. Wenn das Handeln oder Nichthandeln gleichermaßen riskant war, so hielt sie es für besser, etwas zu unternehmen, als einfach nur abzuwarten. Shareem tastete

Weitere Kostenlose Bücher