Das Erbe des Alchimisten
größer.«
»Sicher?«
»Ganz sicher. Einige von ihnen waren doppelt so hoch wie am Abend zuvor.«
»Interessant. Könntest du mich irgendwann mal zu der Stelle führen, an der es geschehen ist?«
»Gewiß. Aber ich war seitdem nicht mehr da.«
»Warum nicht?« frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.
Paula holt tief Luft und schaut auf ihren Sohn. »Weil ich sechs Wochen nach dieser Nacht erfuhr, daß ich schwanger war.« Sie kichert leise vor sich hin. »Ganz schön merkwürdig, nicht?«
»Nur, wenn du mit niemandem geschlafen hast.«
»Das habe ich nicht.«
»Bist du noch Jungfrau?« frage ich.
»Nein. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich keinen Freund. Monate zuvor und Monate später nicht. – Du mußt mich für total verrückt halten.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, entgegne ich. »Mir ist es auch schon ein paarmal im Leben passiert, daß Aliens versucht haben, mich zum Sex mit ihnen zu zwingen.«
»Damals war keine fliegende Untertasse am Himmel«, erklärt Paula rasch.
»Ich habe nur Spaß gemacht«, entgegne ich nachdenklich. »Hast du nach diesem Vorfall noch andere ungewöhnliche Symptome festgestellt? Außer deiner Schwangerschaft?«
Paula überlegt. »Während der letzten Monate hatte ich merkwürdige Träume. Sie waren so intensiv, daß ich von ihnen aufgewacht bin.«
»Wovon handelten sie?«
»Ich kann mich nie ganz genau an sie erinnern. Aber es kommen immer Sterne darin vor. Wunderschöne blaue Sterne, so wie die, die ich damals in der Wüste gesehen habe.«
Ich denke an die Träume von Krishna, die ich hatte.
»Was, glaubst du, hat das alles zu bedeuten?« frage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe keine Ahnung.«
»Du mußt doch irgendeine Vorstellung haben.«
»Nein, die habe ich nicht.«
»Meinst du, daß du vergewaltigt worden bist, als du damals bewußtlos in der Wüste gelegen hast?«
Paula zögert. »Ja, das wäre wohl die logische Erklärung. Aber obwohl mir alles weh tat, als ich erwachte, war ich unten nicht wund.«
»Aber du hältst es für möglich, daß du vergewaltigt worden bist.«
»Ja, ich war nicht bei mir. Alles kann in dieser Zeit passiert sein.«
»Waren deine Kleider in Unordnung?«
»Sie waren … Sie fühlten sich irgendwie anders an.«
»Was genau meinst du damit?«
Paula überlegt. »Mein Gürtel saß enger.«
»Als wenn jemand ihn entfernt und später die Schnalle in ein engeres Loch gesteckt hätte?«
Paula senkt den Kopf. »Ja. Aber eigentlich glaube ich nicht, daß ich vergewaltigt worden bin.«
»Glaubst du, daß du einen epileptischen Anfall hattest?«
»Nein, ich denke nicht, daß ich überhaupt Epilepsie habe. Ich glaube nicht, daß diese Diagnose stimmt.«
»Aber du glaubst, daß die Joshua-Bäume uns beschützen? So wie Engel?«
Sie lächelt. »Ja. Ich neige eben zu solchen Überzeugungen.«
Ihr Lächeln ist so freundlich, so gütig. Es erinnert mich an Radha, Krishnas Freundin. So fällt es mir leicht, meine Entscheidung in diesem Augenblick zu fällen. Ich beuge mich vor, und als ich spreche, klingt meine Stimme so ernst, daß Paula zusammenzuckt.
»Ich habe schlechte Nachrichten für dich, Paula. Wappne dich also, und hör mir so aufmerksam zu, wie ich dir zugehört habe. Wirst du das tun?«
»Gewiß? Was ist denn?«
»Es gibt zwei Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – dein Baby wollen.«
Paula ist fassungslos. »Aber wieso wollen sie es?«
»Ich weiß nicht. Aber ich weiß, daß eine dieser Personen – eine junge Frau – eine Mörderin ist.« Meine Augen brennen, und es macht mir Mühe, meine Stimme nicht allzusehr zittern zu lassen. »Vor zwei Stunden hat sie einen Freund von mir getötet.«
»Alisa! Das kann doch nicht wahr sein! Wer ist diese Frau?«
Ich schüttle den Kopf. »Sie ist so mächtig, so brillant, so grausam, daß es keinen Sinn macht, zur Polizei zu gehen und auszusagen, was passiert ist. Das würde uns nicht helfen.«
»Aber du mußt zur Polizei gehen! Wenn ein Mord geschehen ist, mußt du eine Aussage machen.«
»Die Polizei kann sie nicht aufhalten. Ich kann sie nicht aufhalten. Sie will dein Baby. Sie sucht es schon jetzt, und wenn sie es findet, wirst du sie nicht aufhalten können.« Ich zögere. »Du bist meine Freundin, Paula. Wir kennen uns noch nicht lange, aber ich glaube nicht, daß Freundschaft allein auf Zeit basiert. Ich denke, du weißt, daß ich deine Freundin bin und daß ich alles für dich tun würde.«
Paula nickt. »Ja, das weiß ich.«
»Dann mußt du jetzt auch etwas für mich tun. Du mußt dieses
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