Das Erbe des Alchimisten
überdrüssig. Aber es gibt einen Grund dafür, warum meine Tochter sich in dieser kritischen Situation nicht mit mir persönlich unterhält. Diese Art der Unterhaltung über einen Mittelsmann macht mich hilfloser. Kalikas Vorgehensweise sagt eine Menge über sie selbst aus. Sie zeigt, daß sie Menschen hervorragend manipulieren kann. Für die zwei Polizisten, mit denen sie das Haus verlassen hat, habe ich nicht mehr Hoffnung als für Eric. Schließlich teilt Seymour mir Kalikas Entscheidung mit.
»Sie sagt, daß die Sache mit dem Brutkasten erlogen ist, aber es macht ihr nichts aus. Wenn du das Baby mitbringst, wird sie morgen am Pier auf dich warten.«
»Aber sie muß dich mitbringen«, stelle ich meine Forderung. »Lebend.«
Seymour reagiert erfreut. »Das habe ich ihr selbst schon als Bedingung genannt.«
»Weiß sie, wo der Santa Monica Pier ist?«
»Wir beide wissen es.«
Ich versuche, zuversichtlich zu klingen. »Mach dir keine Sorgen, Seymour. Ich hole dich aus dieser Sache raus.«
Er antwortet nicht gleich. »Tu, was du tun mußt, Sita«, sagt er schließlich.
Dann scheint Kalika ihm den Hörer abzunehmen. Die Verbindung wird unterbrochen.
16.
Kapitel
Es ist Mitternacht, die Geisterstunde hat begonnen. Ich stehe in einem steril sauberen Flur und starre durch eine Glasscheibe auf die Neugeborenen in den Brutkästen. Es sind sechs an der Zahl, und sie alle wirken so unschuldig, besonders Paulas Kind. Eine Schwester ist damit beschäftigt, die Temperatur und den Puls der Babys zu messen und ihnen Blut abzunehmen. Sie sieht mich vor der Glasscheibe stehen, und offenbar wirke ich irgendwie seltsam, denn sie kommt zur Tür und fragt mich, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich gehe auf sie zu.
»Ja. Ich wollte nur das Kind meiner Freundin noch einmal auf den Arm nehmen, bevor ich das Krankenhaus verlasse. Ich bin nicht sicher, wann ich wiederkommen kann, wissen Sie.«
Die Schwester ist sehr freundlich. »Ich habe Sie schon vorhin mit der Mutter gesehen. Wenn Sie sich einen sterilen Kittel und einen Mundschutz überziehen, können Sie ihn noch mal halten. Ich hole die Sachen eben für sie. Welches Baby ist es?«
»Nummer sieben.«
»Hat er noch keinen Namen?«
»Noch nicht.«
Bald habe ich die notwendige Schutzkleidung übergezogen und werde zu den
Neugeborenen geführt. Ich sehe zu, wie die Schwester Paulas Baby Blut abnimmt und das Gefäß auf einem Plastiktablett abstellt, das noch andere Röhrchen enthält. Ramirez schreibt sie auf den weißen Aufkleber. Dann reicht sie mir Baby Nummer sieben, damit ich es halten kann.
»Er ist so hübsch«, sagt sie.
»Ja, er kommt ganz auf seine Mutter.«
Nach dem Schock, den ich eben erlebt habe, tut es gut, jetzt das Baby zu
halten. Irgendwie beruhigt mich die Nähe des Kindes. Ich blicke in seine schönen blauen Augen und lache, als er mich anzulächeln scheint. Er ist so lebendig: Er zappelt die ganze Zeit mit den kleinen Beinchen, versucht, mein Gesicht zu erreichen und mich mit seinen winzigen Händchen anzufassen. Fast habe ich in diesen Augenblicken das Gefühl, selbst seine Mutter zu sein.
»Warum kann nicht er mein Kind sein?« flüstere ich vor mich hin. Natürlich hatte ich um eine Tochter gebetet.
Zehn Minuten später ist die Schwester fertig mit ihren Arbeiten und will sich
auf den Weg machen. Sie schlägt mir vor, das Baby zu seiner Mutter zu bringen. »Das tue ich gern«, sage ich.
»In einer Stunde komme ich das Kind holen«, sagt sie, während sie mit den
letzten Arbeiten beschäftigt ist und mir den Rücken zuwendet. Ich gehe zur Tür. »Ich werde es Paula ausrichten«, sage ich.
Doch dann halte ich plötzlich inne und starre auf die Gefäße mit Blut. Warmes, rotes Blut – für fünftausend Jahre war es der Mittelpunkt meines Lebens. Vielleicht bleibe ich deswegen stehen. Ich möchte diesem Lebenssaft nahe sein, ihn riechen und seine dunkle Farbe genießen. Doch irgend etwas in mir sagt mir, daß da noch etwas anderes ist. Es ist besonders dieses Blut mit der Nummer sieben, das mich anzieht. Fast scheint es, als ob mich die rote Flüssigkeit hypnotisiere. Ohne zu überlegen, nehme ich das Röhrchen aus dem Plastikhalter und stecke es in meine Tasche. Die Schwester bemerkt es nicht.
Dann bringe ich das Baby zu Paula.
Sie sitzt in ihrem Bett und betet, als ich eintrete, einen Rosenkranz in den Händen. Eine ganze Minute lang bleibe ich in der Tür stehen und betrachte sie. Es ist etwas Ungewöhnliches an ihr, als sie betet: eine merkwürdige
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