Das Erbe des Alchimisten
angeordneten Magneten und Kristallen umgeben war, schien die Sonne durch das Blut hindurch auf mich. Arturo allein wußte, wie genau er all diese Hilfsmittel benutzen mußte. Die Wissenschaft unserer Gegenwart ist noch weit von seinen Kenntnissen entfernt. Die Vertreter des Mystizismus unserer Zeit wissen, wie Quarzkristalle zur Beruhigung und zum Streßabbau angewendet werden, doch Arturo konnte durch Mineralien wie diese Erleuchtung und Unsterblichkeit erlangen. Seine einzige Schwäche war, daß er – mit einer Vampirin an seiner Seite – selbst nach Unsterblichkeit strebte. Er war ein Priester, und er unterlag dem Irrtum, daß ich ihm sozusagen das Äquivalent göttlichen Blutes geben konnte. Seine Blasphemie war Sünde, und sie führte zu seinem Untergang. Er versuchte, mich zu benutzen, und betrog mich. Doch jetzt ist er tot, und ich trauere um ihn.
Um selbst wieder zur Vampirin zu werden, brauche ich Vampirblut, genauer gesagt: eine Quelle dafür.
Natürlich habe ich Seymour belogen, denn es gibt eine mögliche Quelle: Yaksha. Doch ich habe Yakshas Körper im Meer versenkt und werde ihn allein durch menschliche Kraft niemals wiederfinden. Aber vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit, an sein Blut zu kommen: Eddie Fender hielt Yaksha für mehrere Wochen in der Kälte eines Eiswagens gefangen. Aus diesem Eiswagen habe ich Yaksha schließlich befreien können – ihn, der keine Beine und nur noch einen Teil seines Unterkörpers hatte. Er hatte in dem Wagen sehr viel Blut verloren, und das muß eigentlich noch da sein – gefroren, konserviert.
Der Eiswagen war auf der Straße in der Nähe des Lagerhauses geparkt, das ich niedergebrannt habe, um Eddie und seine Vampircrew zu töten. Das alles geschah vor ungefähr zwei Monaten. Die Chancen, daß sich der Wagen noch immer dort befindet, sind gering. Vermutlich hat die Polizei ihn konfisziert und irgendwohin geschleppt. Trotzdem beeile ich mich, in die ärmliche Gegend zu gelangen, um zu sehen, ob das Schicksal mir nicht doch wohlgesonnen ist. Verzweifelte Menschen klammern sich schließlich an jeden Strohhalm.
Der Eiswagen ist noch da.
Ein Obdachloser mit weißem Haar und faltigem Gesicht sitzt, in Lumpen gekleidet, bei der Fahrertür. Er hat einen Einkaufswagen mit Blechdosen und Decken bei sich, die aussehen, als ob sie noch aus der Zeit der Wirtschaftskrise stammen. Er ist dünn und sitzt vorgebeugt, aber er blickt mir mit leuchtenden Augen entgegen, als ich mich ihm nähere. Er sitzt auf dem Bürgersteig und hält eine kleine Milchtüte in der Hand. Ich greife intuitiv nach meinem Geld. Er hat wirklich Glück, denn ich werde ihm einen Hunderter geben und ihn auffordern, sich aus dem Staub zu machen. Aber etwas in seiner Stimme läßt mich zögern. Und auch sein Gruß ist ungewöhnlich.
»Du siehst sehr schön aus heute nacht«, sagt er. »Aber ich weiß, daß du in Eile bist.«
Ich stehe vor ihm und blicke mich um. Ich entdecke keinen weiteren Menschen, aber ich weiß, daß in diesem Ghetto schon mehrfach Frauen vergewaltigt und ermordet worden sind. Als ich das letztemal hier war, hatte ich die Cops an den Fersen. Sie hielten mich für eine Nutte und wollten mich einsperren. Jetzt sehe ich mir den Obdachlosen genauer an.
»Woher weißt du, daß ich es eilig habe?« will ich wissen.
Er lächelt, und sein Lächeln ist noch strahlender als zuvor. Auch seine Augen leuchten, während sein Hemd vor Schmutz nur so starrt.
»Ich weiß das eine oder andere«, sagt er. »Du willst diesen Eiswagen, nicht wahr? Ich habe für dich auf ihn aufgepaßt.«
Ich lache leise. »Das weiß ich zu schätzen. Ich kann mir im Moment nichts Besseres vorstellen als ein großes Eis.«
Er nickt. »Das Kühlaggregat arbeitet noch. Ich habe es gewartet.«
Ich bin beeindruckt. »Du kennst dich mit solchen Dingen aus?«
»In meinem Leben habe ich schon die verschiedensten Dinge repariert.« Er hält mir die Hand hin. »Hilf mir bitte auf. Meine Knochen sind alt, und ich bin ein wenig eingerostet, denn ich habe lange auf dich gewartet.«
Ich helfe ihm; ein bißchen Schmutz hat mir noch nie etwas ausgemacht. »Wie lange bist du schon hier?«
Er wischt sich über die Kleider, die danach eher noch übler aussehen als zuvor. Als ich ihm die Frage stelle, blinzelt er, als ob sie ihn verwirre. Mir fällt auf, daß er nicht nach Alkohol riecht. Er leert seine Milchtüte und stellt den leeren Karton in seinen Einkaufswagen.
»Genau kann ich es nicht sagen«, antwortet er schließlich. »Ich
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