Das Erbe des Blutes - Roman
gefunden haben, sagen, auf dem Kirchplatz haust eine Pennerin. Ciderfrau oder wie auch immer sie genannt wird. Haben wir die ausfindig machen können?«
Die Antwort fiel negativ aus. Man wusste, dass ihr echter Name Sheena war, aber in letzter Zeit hatte sie niemand an ihrer gewohnten Stelle gesehen.
»Irgendwo muss sie ja sein. Die macht bestimmt Saufferien, kippt vor der Station Camden Town Strongbow-Cider in sich rein. Da müssen wir dranbleiben. Gibt’s was Neues von der Kirche oder aus der Umgebung?«
Wieder folgte nur ein Kopfschütteln. Das überraschte ihn in gewisser Weise, denn der Kirchplatz lag keineswegs abgeschieden, sondern oben auf einem Hügel an einer von
hohen Wohnhäusern umgebenen verkehrsreichen Durchgangsstraße. Eigentlich ein schrecklicher Ort, um eine Leiche abzulegen.
»Ich will, dass wir uns jeden einzelnen Schnipsel Filmmaterial der Überwachungskameras in der Liverpool Street ab neunzehn Uhr gestern Abend ansehen. Dort ist er auf der Heimfahrt normalerweise in die U-Bahn gestiegen. Wer weiß, vielleicht hat er es ja bis in die Bahn geschafft. Und wir sollten uns auch das gesamte Filmmaterial von Ladbroke Grove angucken.«
Plötzlich stürzte Heather atemlos in den Raum. Foster hielt nach einem Anzeichen von Zerknirschung Ausschau. Vergeblich.
»Sorry, Sir«, sagte sie. »Musste noch die letzten Kleinigkeiten hinsichtlich des Penners, der sich umgebracht hat, erledigen.«
Das Schicksal des Penners, den man am vergangenen Sonntagmorgen in einem Park an der Schaukel hängend gefunden hatte, war in Fosters Gedächtnis schon lange vom Mord an Darbyshire überlagert worden. Wut stieg in ihm hoch.
»Nun machen Sie mal halblang mit Ihrer Gefühlsduselei. Lassen Sie den Penner mal Penner sein, und konzentrieren Sie sich bitte auf das hier.«
»Wir müssen doch wenigstens herausfinden, wer er war, und seine Angehörigen verständigen. Er hat ein Recht darauf …«
»Stimmt. Er hat das Recht auf eine Gleichbehandlung. Aber das heißt noch lange nicht, dass er die auch bekommt. Ich wünschte, ich könnte den Idioten ausfindig machen, der auf die Idee mit den Rechten gekommen ist, und sie ihm aberkennen. Und zwar mit Gewalt.«
Heathers Augen, die eigentlich nie sanft dreinblickten, funkelten jetzt vor Wut. An ihrem Gesichtsausdruck ließ sich schnell ihre jeweilige Gemütslage ablesen, doch Foster wusste, sie würde sich auch rasch wieder beruhigen. Sie vor den anderen bloßzustellen war nicht korrekt, aber ihre Mission, die Kripo zum verlängerten Arm der Obdachlosenhilfe zu machen, nervte ihn schon gelegentlich.
Die Diskussion verlagerte sich nun auf die fehlenden Hände. Die Suche in der unmittelbaren Umgebung des Tatorts war vergeblich gewesen. Auch die Mordwaffe blieb unauffindbar. Das Team teilte sich in verschiedene Lager: Die einen glaubten, die Hände könnten eine Trophäe sein, die anderen, der Mord bliebe ohne sie womöglich unaufgeklärt. Ein drittes Lager fand beide Ansätze wenig überzeugend und war der Ansicht, es stecke vielleicht mehr dahinter als die naheliegenden Erklärungen.
»Was haben wir aus forensischer Sicht?«, wollte Foster wissen.
»Erst mal gar nichts«, antwortete Drinkwater. »Bislang sagt uns der Tatort nix.«
Stille breitete sich aus, denn nur äußerst selten vermochten die Forensiker ihnen keinerlei Anhaltspunkte zu liefern. Foster nickte bedächtig. Es war fast so, als ob die Leiche vom Himmel gefallen wäre. Aber ein Mangel an Beweisen oder Anhaltspunkten war nicht unwichtig.
»Was wir am Tatort sehen können, ist, dass unser Killer sehr sorgfältig gearbeitet, im Vorhinein alles genau durchdacht hat. Und dass das Opfer woanders getötet wurde.«
»Wissen wir schon was über das Motiv?«, fragte jemand.
Foster breitete die Arme aus. Er hatte bereits darüber nachgedacht. »Einen Raubüberfall können wir ausschließen, weil bei der Leiche noch einiges an Geld gefunden
wurde. Und auch das Handy. Natürlich wissen wir nicht alles über das Privatleben des Toten, da könnte es also ein Motiv geben …« Dann verstummte er. Das Motiv für diesen Mord war eins, dem sein Hirn noch keine Beachtung geschenkt hatte. So viel wusste er. Etwas sagte ihm, dass es außerhalb des banalen Mordvokabulars wie Drogen, Geld, Wut und Eifersucht lag. »Haben wir seine Handyverbindungen?«, fragte er, einen neuen Weg einschlagend.
Drinkwater teilte ihm mit, sie hätten die letzten zehn Anrufe auf Darbyshires Handy herausgefischt: gewählte Nummern ebenso wie
Weitere Kostenlose Bücher