Das Erbe des Blutes - Roman
grenzender Wahrscheinlichkeit hatte Pfizer sich aber in dieser Zeit verpflichtet. Zuerst ging er zum Pensionsregister, das 1889 begann. Damals
musste Pfizer um die fünfzig und bereits pensioniert gewesen sein. Nigel ging mehrere Bände nach seinem Namen durch - bis zur Jahrhundertwende. Zu dem Zeitpunkt hätte er schon längst im Ruhestand sein müssen. Aber ein H. Pfizer tauchte nicht auf. Wenn es keine Unterlagen über seine Pensionierung gab, dann hatten auch keine Pensionszahlungen stattgefunden, was eine weitere Informationsquelle ausschloss. Er überprüfte die Listen mit den Details über das Ableben von Polizisten im Dienst, die nur bis 1889 geführt wurden. Auch hier gab es keinen Pfizer. Diese Unterlagen würden das Rätsel demnach nicht lösen.
Foster hielt vor dem Pub an und parkte im eingeschränkten Halteverbot. Durch die großen Glasfenster konnte er sehen, dass das für Freitagabend typische, laut grölende Publikum unterwegs war. Drinnen gab es kaum noch Platz zum Stehen. Er kämpfte sich bis zur Theke durch. Aber hinter dem Tresen war keine Spur vom Barkeeper. Um ehrlich zu sein, erinnerte er sich an niemanden mehr vom Personal.
Erschöpft, wie er war, gelang es ihm nicht sofort, sich den Namen des Barkeepers ins Gedächtnis zu rufen. Er hatte ihn am Telefon genannt. Karl, ja, so hieß er. Foster fragte eine große blonde Bedienung nach ihm, die ihre Haare in einem Knoten trug.
Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. »Er arbeitet heute nicht, war aber hier.«
»Der ist weggegangen, um Geld zu holen«, fügte eine Kollegin hinzu, die mit zwei randvollen Biergläsern an ihm vorbeiging.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Ein Paar direkt neben ihm räumte zwei Barhocker. Nachdem er sich angehört hatte, was Karl ihm sagen wollte, würde er nach
Hause fahren: Es sei denn, es wäre so wichtig, dass unverzüglich gehandelt werden musste. Also bestellte er ein Bier. Im Pub war es laut, aber es fühlte sich gut an, von Menschen umgeben zu sein, Musik und Gespräche zu hören: einfach das Leben zu spüren.
Das Bier kam. Er nahm einen großen Schluck und stellte fest, dass die Spannung von ihm abfiel. Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Es war Karl, in Jeansjacke und -hose gekleidet.
»Sorry«, sagte er. »Saß bargeldmäßig auf dem Trockenen.«
Foster entgegnete, dass es ihm nichts ausgemacht habe. Karl bestellte ein Lager, von dem Foster noch nie etwas gehört hatte, und nahm auf dem Barhocker neben ihm Platz. Foster spürte, wie die Hitze in ihm hochstieg. Das ist die Müdigkeit, dachte er. Sein Körper gab allmählich auf, kämpfte damit, die Temperatur zu regulieren. Er fing an zu gähnen und war weder in der Lage noch willens, wieder damit aufzuhören.
»’ne anstrengende Woche gehabt?«, fragte Karl.
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Foster.
Karl warf einen Blick über seine Schulter in das überfüllte Pub.
»Ist ganz schön was los hier heute«, meinte er.
Foster bemerkte, dass sein rechtes Bein tanzte, während er sprach, er konnte es nicht still halten. Er nahm noch einen Schluck, weil er nicht in der Laune für Smalltalk war.
»Das Seltsame ist, dass hier lauter junge reiche Kids abhängen«, sagte Karl. »Früher, in den Fünfzigern und Sechzigern, war die Princedale Road das Epizentrum von Gegenkultur und politischen Protestgruppen.«
»Echt?«, entgegnete Foster, dessen Interesse geweckt war.
»Jepp. Hier gleich die Straße entlang in Nummer 52 haben sie das Oz- Magazin gegründet. Sie wissen schon, das, das die Leute zum ›Aufdrehen, Mitmachen und Umkippen‹ aufrief. Musste eingestellt werden. Die Herausgeber wurden wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ins Wormwood-Scrub-Gefängnis gesteckt. Und in Nummer 74 gab es in den Fünfzigern die andere Seite der Medaille: die White Defence League, die die Einwanderung von Schwarzen stoppen wollte. In Nummer 70 befand sich Release, die erste Wohltätigkeitsorganisation, die sich für Leute mit Drogenproblemen einsetzte. Jetzt sind da zwei Pubs mit schnieker Küche und sonst fast nichts, was der Rede wert wäre.«
»Sie kennen sich da aber gut aus«, meinte Foster.
»Heimatgeschichte ist so ein Hobby von mir. Über die Gegend hier gibt’s’ne Menge zu erzählen.«
Dann leg mal los, dachte Foster. »Was wollten Sie mir eigentlich sagen? Hat es mit Dammy Perry zu tun?«
Karl nickte. Aus seiner Gesäßtasche zog er eine Schachtel Zigaretten, zündete sich eine an und machte einen tiefen Zug.
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