Das Erbe des Blutes - Roman
Beinen der beiden jüngeren Geschwister zu entgehen. Er verließ die Kammer. Im elterlichen Schlafzimmer befand sich Esau auch nicht. Jemima schwor bei ihrem Leben, dass er zu Bett gegangen sei und sie ihn seitdem nicht mehr gesehen habe.
Eine Sekunde lang hielt er inne.War der Junge misstrauisch geworden? Hatte er sich aus dem Haus geschlichen und war ihm gefolgt? Der Junge war gescheit, vielleicht zu gescheit. Er gähnte. Das konnte warten. Esau würde heimkehren.
Am nächsten Morgen käme die Wahrheit ans Licht. Dann würde er den Gürtel benutzen.
26
Foster fühlte sich, als hätte er noch nie in seinem Leben so tief geschlafen. Da er nicht bei vollem Bewusstsein war, dauerte es einen Moment, bis er überhaupt in Erwägung zog, die Augen zu öffnen. Er lag ausgestreckt, konnte sich jedoch nicht bewegen. Sein Körper musste noch Kontakt mit seinem Verstand aufnehmen.
Was war passiert? An das Pub konnte er sich noch erinnern. Danach an nichts mehr. War er derart müde gewesen? Vielleicht war er zusammengebrochen, und jemand hatte ihn nach Hause gebracht. Doch wie in seinem Zimmer roch es hier nicht, sondern muffig und ziemlich intensiv nach Pappe; wie in einigen der Archive, in die Barnes ihn mitgenommen hatte. Er schlug die Augen auf. Als Erstes sah er eine kahle Glühbirne, die an einem dreckigen weißen Kabel von der Decke hing. Eine andere Lichtquelle gab es nicht. Die Decke bestand aus sauberem kahlem Beton, die Wände sahen pockennarbig aus. Als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, erkannte er, dass die Wände von etwas gesäumt waren, das Eierkartons ähnelte; vielleicht ein Versuch, den Raum schalltot zu machen.
Foster spürte, wie es in seinen Gliedern kribbelte. Das Gefühl kehrte langsam zurück. Aber warum war es überhaupt weg gewesen? Er versuchte, die rechte Hand zu heben, doch sie bewegte sich nicht. Etwas hielt sie fest, eine Art Gurt; auch die andere Hand, die Arme, beide Beine sowie
den Brustkorb. Seine Kleider waren verschwunden, mit Ausnahme der Boxershorts. Er riss heftig mit seiner rechten Hand am Gurt, doch er gab nicht nach. Er tastete die Oberfläche ab, auf der er lag. Eine Art Bett. Sein Magen krampfte sich in Panik zusammen.
Links neben ihm türmten sich bis zur Decke reichende Kistenstapel. Rechts gab es noch mehr davon, dazu einige Möbelstücke, eine Kommode und einen Aktenschrank. Zu beiden Seiten des Betts blieb ungefähr ein Meter Platz. Sosehr er sich auch bemühte, den Kopf zu heben, es gelang ihm weder zu sehen, was sich hinter noch was sich vor ihm befand, er registrierte nur noch mehr Durcheinander. Es schien, als wäre er vom Inventar eines ganzen Hauses umgeben.
Aus einer Ecke außerhalb seines Blickwinkels hörte er ein Schlurfen. Er wusste, dass da jemand atmete.
»Ist da wer?«, nuschelte er.
Keine Antwort.
»Ist da wer?«, wiederholte er jetzt eindringlicher.
An seiner rechten Seite tauchte eine Gestalt auf. Foster bemühte sich, das Gesicht anzupeilen. Er konnte dunkle Haare erkennen und dass die Gestalt etwas in der Hand hielt. Was, sah er jedoch nicht.
»Wer sind Sie?«, stöhnte er mit schwacher Stimme.
Keine Antwort. Foster stellte seine Frage noch einmal. Wieder keine Antwort.
»Was, zum Teufel, ist das hier?«, wollte er nun mit kräftigerer Stimme wissen und versuchte dabei, seine Arme zu bewegen.
Der Mann blieb neben ihm stehen. Er redete kurz angebunden und emotionslos.
»Das hier«, sagte er langsam, »ist Rache.«
Er klebte Tape über Fosters Mund.
Vor Schreck zuckte Foster zusammen. Er versuchte, das Tape auszuspucken, es mit Gewalt abzubekommen, aber das war unmöglich. Der Mann ignorierte seine gedämpften Schreie und bewegte sich außer Sichtweite. Foster spürte, wie er die Schnalle um seinen rechten Fußknöchel öffnete. Sobald dieser befreit war, trat Foster mit dem Fuß nach ihm, aber er hatte keine Kraft und weiter nichts, um sich damit zur Wehr zu setzen. Der Mann hielt sein Bein mit sicherer Hand fest. Als er etwas über den Boden zog, einen weiteren kleinen Tisch, war ein schabendes Geräusch zu hören. Er hob Fosters Bein hoch, so dass Ferse und Knöchel auf dem Tisch zu liegen kamen. Der Teil vom Knie bis zum Fußknöchel hing in der Luft. Der Mann schnallte den Knöchel an der neuen Position fest.
Foster sah nun nicht mehr so verschwommen. Endlich konnte er den Mann erkennen. Es war Karl. Das Werkzeug, das er über seinem Kopf hielt, war ein Vorschlaghammer. Foster verfolgte, wie er ihn hochhob. Er strampelte
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