Das Erbe des Blutes - Roman
an den ich mich strengstens halte. Dennoch sind die Umstände in diesem Fall so außergewöhnlich, dass diese Überzeugung auf die Probe gestellt wird. Es liegt ganz an Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen
Duckworth
Nigel schüttelte den Kopf. Er konnte einfach nicht glauben, dass Duckworth sich nicht umgehend an die Polizei gewandt und versucht hatte, den Killer zu erpressen.
»Wir haben eine Postfachadresse gefunden, an die er die Unterlagen geschickt hat. Als Eigentümer ist ein Mr. Kellogg eingetragen, wohnhaft in Leinster Gardens 24, W2. Ein Team ist gerade auf dem Weg dorthin.«
»Lesen Sie mir die Adresse noch einmal vor«, bat Nigel.
Drinkwater wiederholte sie.
»Sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen umkehren. Die Adresse ist erfunden.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Drinkwater ihn ungehalten.
»Weil das Haus erfunden ist.«
»Ein erfundenes Haus?«
»Als die Circle Line geplant wurde, musste man auf der Strecke jede Menge Häuser abreißen, weil sie so nahe an der Oberfläche gebaut wurde. Die meisten Anwohner wurden ausbezahlt und umgesiedelt, ihre Häuser riss man dann ab. Die Bewohner von Leinster Gardens waren wohlhabender als manche ihrer Nachbarn und etwas einflussreicher. Sie sagten, und damit hatten sie gar nicht so unrecht, dass die Bahnlinie den Straßenverlauf ruinieren würde. Die Metropolitan Company willigte ein, eine falsche Fassade zu bauen, damit man die große Lücke nicht sah, wo sich vorher die Nummern 23 und 24 befunden hatten.«
»Scheiße«, sagte Heather. Dann fragte sie: »Wie weit sind Sie mit dem Stammbaum der Hoggs vorangekommen?«
»Ich habe zwei lebende Verwandte gefunden.«
»Dann lassen Sie uns die suchen. Schnell, kommen Sie«, sagte Heather. »Im Moment sind sie das Einzige, was wir haben, und uns rennt die Zeit davon.«
Den Wählerverzeichnissen zufolge war Karl Hoggs letzte bekannte Adresse ein zweckmäßiges Appartement am westlichen Ende von Oxford Gardens gewesen, einer von blühenden Büschen gesäumten Straße mit vier- und fünfstöckigen herrschaftlichen Häusern aus der viktorianischen Zeit, von denen die meisten schon seit langem in Appartements für Yuppies aufgeteilt worden waren.
Nigel und Heather sprinteten in den dritten Stock eines roten Backsteingebäudes, das zu der sonst vornehmen Atmosphäre in der Straße nicht passte. Sie klingelten an Hoggs
Tür. Keine Antwort. Eine ältere Frau aus einer der Nachbarwohnungen war zu Hause. Sie bestätigte, dass Karl nebenan wohnte. Sie kannte ihn allerdings unter dem Namen Karl Keene. Zwei Monaten zuvor hatte er die meisten Möbel mit einem Lieferwagen abtransportiert, war seitdem aber ein paarmal da gewesen. Als sie ihn fragte, ob er ausgezogen sei, entgegnete er, er würde fortgehen, käme aber in den nächsten Monaten immer mal wieder vorbei.
»Hat er gesagt, wo seine Möbel sind?«, fragte Heather.
Sie schüttelte den Kopf.
»Hat er überhaupt gearbeitet?«
»Soweit ich weiß, arbeitete er die meiste Zeit von daheim aus. Er hat eine eigene Zeitschrift und ein paar Bücher herausgebracht, früher jedenfalls, und viel für den Geschichtsverein hier vor Ort getan. Der hat seinen Sitz in der Methodistenkirche in der Lancaster Road. Ich weiß, dass er dort immer Vorträge hielt und Sachen für sie produzierte.«
Den kurzen Weg bis zur Kirche rannten sie. Das Büro des Geschichtsvereins lag versteckt auf der Gebäuderückseite. Man musste ein paar Treppen hochgehen. Eine großgewachsene Frau mit riesiger brauner Brille saß in einem kleinen Raum voll mit ordentlich verstauten Büchern und Ordnern hinter einem Schreibtisch. Als sie reinkamen, begrüßte sie die beiden mit einem Grinsen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Wir suchen Karl Hogg«, sagte Heather, während sie ihre Dienstmarke zückte.
Die Frau konnte ihr Entsetzen nicht verbergen. »Um Himmels willen«, sagte sie. »Karl? Wir haben ihn leider schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
»Wie lange ist eine ganze Weile?«
Sie holte tief Luft und sah aus dem Fenster. »Ein paar
Monate bestimmt. Ich glaube, ihm wurde es bei uns zu langweilig. Er war desillusioniert.«
»Warum denn das?«
»Nun, wir sind nur ein kleiner örtlicher Geschichtsverein. Die meisten unserer Mitglieder wollen wissen, wie ihre Verwandten lebten, ein paar interessieren sich für den Zustrom von Leuten, die aus der Karibik emigriert sind, für die Geschichte des Notting Hill Carnival, so was in der Art. Karls Interessen waren mehr, sagen wir mal, idiosynkratischer
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