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Das Erbe des Blutes - Roman

Titel: Das Erbe des Blutes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wurde. Ich denke, es könnte sich lohnen, wenn ich die Berichte ausgrabe.«
    »Okay. Hört sich gut an. Die in Colindale? Hat die samstags auf?«
    »Ja, bis vier.« Er blickte auf seine Uhr. Es war kurz vor eins.
    »Hätten Sie denn Zeit?«
    »Mal sehen«, sagte Nigel.
    »Hören Sie, ich lasse jemanden da anrufen.Vielleicht bekommen wir es hin, dass sie etwas länger offen haben. Würde das was bringen?«

    »Das würde es.«
    »Ist schon so gut wie erledigt. Rufen Sie mich an, sobald Sie was gefunden haben.«
    Dann legte er auf.

10
    Dank der Launenhaftigkeit der Northern Line trat Nigel erst kurz vor halb drei aus der U-Bahn-Station Colindale. Die Sonne schien und verlieh selbst diesem unbeachteten und ungeliebten Teil Londons einen Hauch von Vitalität. Nigel bog rechts ab und lief zielstrebig die Colindale Avenue bis zum Zeitungsarchiv entlang, einem sich über vierzig oder fünfzig Meter erstreckenden verwaisten Straßenabschnitt. Das Archiv wurde 1903 als Dokumentationsstelle für die Nachrichten von gestern eingerichtet und ist seit 1932 für die Öffentlichkeit zugänglich; ein schmutziges, ziegelrotes Gebäude im nüchternen Stil der damaligen Zeit.
    Im Hauptlesesaal angekommen schlug Nigel sofort der vertraute, intensive, fast süßliche Geruch von vergilbtem, abgenutztem Papier entgegen. Sich in die gebundenen Zeitungsbände zu vertiefen war, als träte man durch ein Tor in die Vergangenheit ein. Hier konnte er die Geschichten der Leute, nach denen er suchte, ihre Zeit und die Ereignisse, die sie geformt hatten, mit Leben erfüllen. Gerichtliche Untersuchungen, Gerichtsreportagen, Nachrufe, Nachrichten: All das war für Ahnenforschungszwecke Gold wert. Im FRC in Registern anstelle der Originalformulare zu suchen entrückte einen der Vergangenheit; in Colindale dagegen kletterte man eine Leiter hoch und konnte in die Welt der Dokumente eintauchen.

    Nigel fand einen Sitzplatz. Das gesamte Archiv weist die Größe mehrerer Fußballfelder auf, und fast alle seit 1820 erschienenen britischen Zeitungen, regionale wie überregionale, sind hier untergebracht. Der Bereich für Forscher ist allerdings nicht viel größer als ein Strafraum. Der Hauptsaal hatte sich seit 1932 kaum verändert: nackte weiße Wände, eine ständig falsch gehende Uhr und vor allem die sechsundfünfzig noch originalen Lesetische, die Nigel wunderschön fand. Genauer gesagt nicht die Tische selbst, sondern die Pulte darauf. Aus Messing im Art-déco-Stil gefertigt verfügte jedes über eine Lampe mit Zugschalter, der beim Ziehen ein sattes Klicken von sich gab. Die Tischnummer und Holzständer, auf denen man die dicken Bände ablegen konnte, waren von jahrzehntelangem Gebrauch angeschlagen und ramponiert. Abgesehen von einzelnen, meist verwaisten Computern und dem hektischen Surren zurückspulender Mikrofilmrollen aus dem Nebenraum hätte die Zeit seit 1932 auch stehen geblieben sein können.
    Nigel ging zunächst zur Information.
    »Guten Tag«, sagte er zu der schüchternen Frau hinter der Theke. »Nigel Barnes. Ich glaube, jemand von der Metropolitan Police hat Ihnen meine Ankunft schon angekündigt.«
    Er zuckte zusammen, weil seine Vorstellung sich so formell anhörte. Ihr Blick wurde lebhaft.
    »Ah, ja«, sagte sie eifrig. »Ron erwartet Sie bei der Bestellannahme. Er wird Ihnen helfen.«
    Ungefähr eine Minute später begrüßte ihn ein stolz dreinblickender Mann mit schaufelgroßen Händen. Er hatte Bartstoppeln und einen riesigen Bauch, der sein T-Shirt ausbeulte.
    »Tut mir leid, dass Sie meinetwegen noch bleiben müssen«, entschuldigte sich Nigel.

    »Keine Sorge, Mann«, entgegnete Ron. »Ich hatte nichts Besonderes vor, nur einen Abend vor der Glotze mit meiner Frau. Ehrlich gesagt tun Sie mir’nen Gefallen. Also, was wollen Sie zuerst haben?«
    Er begann mit den überregionalen Zeitungen: Darin fanden sich Berichte über Morde, je schauriger desto besser. Die regionalen Blätter waren dagegen wenig aussagekräftig. Sie schossen wie Pilze aus dem Boden und gingen genauso schnell wieder ein. Oft enthielten sie nicht mehr als die Marktzeiten und den Apfelpreis. Er bat um die Ausgaben der Times vom März 1879, der Zeitung mit den amtlichen Verlautbarungen. Obgleich es unwahrscheinlich war, dass sich darin ein Bericht über die Morde fand, war es doch einen Versuch wert. Er bestellte auch den Daily Telegraph - damals der preisgünstigere und weniger anspruchsvolle Rivale der Times - und schließlich noch die News of the World ,

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