Das Erbe des Blutes - Roman
Aufzeichnungen darüber, wann diese Menschen gestorben sind oder wann die Leichen hergebracht wurden?«
»Steht alles im Verzeichnis.«
»Dann holen Sie es, bitte.«
Während Luke verschwand, ging Foster zu einem Handschuhspender. Als er sich ein Paar übergezogen hatte, kam Luke, etwas schwerer atmend, mit einem großen schwarzen Buch zurück.
»Welche Daten interessieren Sie denn?«
»Zunächst mal will ich mir alle ansehen, die am vergangenen Samstag spätabends oder am Sonntag hergebracht wurden, unabhängig vom jeweiligen Todeszeitpunkt.«
Luke legte das Buch auf einen der unbenutzten Metalltische und glitt mit dem Finger die Seite entlang, dann blätterte er um. Foster wollte schon nach dem Buch greifen
und selbst nachschauen, aber in dem Moment sagte der Sektionsassistent: »Okay. Wir haben Fahey.«
Foster sah zum Whiteboard, konnte den Namen aber nicht entdecken.
»Wurde Donnerstag fürs Bestattungsinstitut freigegeben«, fügte Luke hinzu. »Verkehrsunfall.«
Foster notierte sich, um welches Bestattungsunternehmen es sich handelte.
»Gordon.«
Der Name stand auf dem Whiteboard. Kühlzelle 13. Foster ging selbst rüber. Mit einem festen Ruck am Griff ließ die Molle sich herausziehen. Er öffnete den Reißverschluss des Sacks, woraufhin ein etwas übergewichtiger Mann, schätzungsweise um die fünfzig, zum Vorschein kam. Seine Haut war hellblau, das Kinn hing herunter. Foster sah sich Brustkorb und Torso genau an, dann hob er beide Arme hoch. Nachdem er nichts gefunden hatte, rief er Luke und bat ihn, ihm zu helfen, die Leiche aufzurichten. Sorgfältig inspizierte Foster seinen Rücken, doch der war makellos.
»Herzinfarkt?«, fragte er Luke, der nickte.
»Zu Hause am Samstagabend.«
»Vielleicht hat er im Lotto gewonnen«, meinte Foster, schloss den Reißverschluss wieder und schob die Molle zurück.
Der nächste Name auf der Liste war Ibrahim.
»Der ist in der Tiefkühlung. Nummer 30«, sagte Luke.
Klasse, dachte sich Foster, genau das, was ich jetzt brauche. Es gab immer wenigstens eine Kühlzelle mit einer Temperatur von minus zwanzig Grad. Dort wurden Leichen aufbewahrt, die eingefroren werden mussten, um den Verwesungsprozess aufzuhalten. Wenn man sie beispielsweise für
eine zweite Autopsie brauchte, wurden sie mit heißem Wasser aus dem Boiler wieder aufgetaut.
»Ist das ein Ladenhüter?«, fragte er.
Luke schüttelte den Kopf. »Nein, die Leiche befand sich bereits in einem fortgeschrittenen Verwesungsstadium, als man sie fand.«
»Fantastisch«, murmelte Foster.
Er öffnete die Tür und zog das Tablett raus. Der Sack war kleiner als die anderen und hatte nicht die Form eines Körpers. Vorsichtig öffnete er ihn und atmete tief durch.
Die Kälte verhinderte, dass ihn der Gestank überwältigte, doch was er zu Gesicht bekam, hatte fast die gleiche Wirkung. Die Leiche war zerstückelt. Hier ein Arm, dort ein Bein, in der Mitte der Torso, der Kopf fehlte; die Leiche war grün, nicht hellblau, und offensichtlich hatten sich Maden eine Weile von ihr ernährt. Foster erinnerte sich an den Fall. Ein anderes Team war damit betraut; wahrscheinlich ging es um einen Ehrenmord.
Er hob die abgetrennten Stümpfe hoch und untersuchte sie sorgfältig. Als ihm nun doch der Geruch von verwesendem Fleisch in die Nase stieg, atmete er nur noch durch den Mund. Er prüfte jedes Körperteil. Doch da war nichts. Umgehend legte er alle Teile wieder zurück in den Sack.
Der Nächste auf der Liste war ein Mr. Unbekannt. Luke sagte, er sei am Sonntagmorgen hergebracht worden. Sein Alter ließ sich nur schwer schätzen, vielleicht auf Ende vierzig. Das Gesicht der Leiche wirkte eingefallen, das schwarze Haar war zerzaust, und sein melierter Bart sah ungepflegt aus. Foster musste zweimal hinsehen. Es war tatsächlich der Penner, zu dem sie am vergangenen Sonntag gerufen worden waren. Der, dessen Selbstmord Heather so persönlich genommen hatte.
Gerade wollte er den Sack wieder schließen, als ihn etwas veranlasste, die Leiche doch genauer in Augenschein zu nehmen. Auf dem Brustkorb war nichts zu sehen, auch nicht auf dem Bauch. Er hob den linken Arm, nichts zu sehen. Dann den rechten. Auch da war nichts, abgesehen von ein paar Einstichstellen. Offenbar ein Junkie …
Mit zur Seite geneigtem Kopf betrachtete er noch einmal die Einstiche am Arm. Kleine Kerben, genau wie die Narben, die beim Spritzen von Heroin entstehen. Doch mit einem Mal schienen sie sich zu verbinden, ineinander überzugehen. Er
Weitere Kostenlose Bücher