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Das Erbe des Blutes - Roman

Titel: Das Erbe des Blutes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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letzten Treffen. In der Abenddämmerung und ohne das grelle Licht der Polizeiwache sah sie sauberer aus. Mit ihren zusammengekniffenen Augen stierte sie ihn eine ganze Weile an, bevor der Groschen fiel.
    »Was wollen Sie, verdammte Scheiße?«, fragte sie, als sie sich endlich an ihn erinnerte. Dabei schaute sie den kahlköpfigen Alten mit dem buschigen, dreckigen Bart neben sich an, der hektisch an einer Zigarette sog, als würde sein Leben davon abhängen, und dabei vor und zurück schaukelte.
    »Der da is’ ein Bulle«, nuschelte sie. »Hat mich über den Mord in der Kirche ausgefragt.«
    »Tut mir leid, dass ich uneingeladen auf die Party komme, wo es gerade so gut läuft«, sagte Foster. »Aber ich brauche leider noch mal Ihre Hilfe, Sheena. Die anderen können mir vielleicht auch helfen.« Er zog ein Foto des toten Penners aus seiner Jackentasche. »Kennt jemand den hier?«
    Die Ciderfrau schnappte sich das Foto und hielt es ganz dicht vor die Augen. Dann kniff sie ein Auge zu und versuchte
etwas zu erkennen. Foster förderte eine kleine Taschenlampe zutage und knipste sie an.
    »Das hier macht’s vielleicht einfacher.«
    Er gab sie der Ciderfrau, die sie mit zittriger Hand auf das Foto richtete.
    »Der ist ja tot, verdammte Scheiße«, sagte sie schließlich.
    »Das ist mir bekannt. Erkennen Sie ihn?«
    Sie sah nochmals hin. Die anderen hatten sich hinter ihr zusammengedrängt, um auch einen Blick auf das Foto werfen zu können. Sie gab Taschenlampe und Bild weiter.
    »Nie gesehen«, sagte sie bestimmt.
    Das Foto wurde herumgereicht. Die anderen hatte ihn auch nie gesehen.
    »Wenn er sich in diesem Teil der Stadt aufgehalten hat, könnte man dann sagen, dass Sie ihn kennen würden?«
    Sie bleckte wieder ihr schauderhaftes Gebiss. »Wenn er sich hier rumgetrieben hätte, dann hätte ich ihn wohl gefickt«, sagte sie und lachte keuchend.
    Die anderen lachten nun ebenfalls.
    Dieses Bild werde ich nicht so schnell aus dem Kopf bekommen, dachte Foster.
     
    Als Ron schnaufend mit ein paar schweren Zeitungsbänden unter dem Arm zurückkehrte, suchte Nigel gerade im Online-Katalog. Kein Mikrofilm dabei, dachte Nigel erleichtert. Er nahm Ron die Bände ab, legte einen davon auf das Lesepult, setzte die Brille wieder richtig auf und blätterte zum Titelblatt. Die Seiten fühlten sich in der Hand trocken und steif wie Schmirgelpapier an. Ein wunderbares Gefühl. Er konnte fast spüren, wie er sich jener Zeit immer mehr näherte. Schnell blätterte er weiter, bis er zur Ausgabe vom 2. April kam.

    Doch es stand nichts Brauchbares drin. Die Zeitung bestand aus zwei Seiten mit Werbung, den Preisen von Lebensmitteln, einem Branchenadressbuch und anderen Details aus dem Leben in der viktorianischen Zeit. Unter anderen Umständen hätte ihn all das fasziniert, aber jetzt brauchte er das Tagesgeschehen.
    Ron war wieder an seinen Platz zurückgeschlurft. Nigel rief ihn zu sich.
    »Können Sie mir die Kensington News and West London Times von 1879 bringen?«, fragte Nigel.
    »Von denen hab ich noch nie was gehört«, meinte Ron betrübt.
    »Das ist eine Zeitung«, entgegnete Nigel. »Erschien wöchentlich.«
    Ron schlenderte aus dem Raum und verschwand in den Tiefen des Archivs.
    Eine halbe Stunde später kam er mit einem weiteren Band zurück. Nigel fand die Ausgabe vom 4. April. Die Mordserie war auf der Titelseite. Der Fokus lag auf den ängstlichen Reaktionen der Bewohner von Notting Hill, darunter auch ein paar, die glaubten, der Killer sei ein Golem. Ein »Augenzeuge« behauptete, er habe in der Nähe des ersten Tatorts einen Mann gesehen, »größer als zwei Meter zehn, mit einem von Haaren überwucherten Gesicht«.
    Nigel las den Bericht sorgfältig. Es stand nichts Neues drin, bis er zu der Stelle kam, als es dem Reporter gelungen war, einen Redseligen zu finden, der behauptete, die Person zu kennen, die den Leichnam gefunden hatte. Der Mann, dessen Name ungenannt blieb, hatte frühmorgens einen Spaziergang entlang der Bahngleise der Hammersmith & City Railway gemacht, als er in der Nähe des Bahnhofs auf die Leiche stieß.

    Er stand auf, um rauszugehen und Foster anzurufen. Doch dann hielt er inne: Die Station Notting Hill Gate lag unterirdisch. Was, zum Teufel, machte der Kerl neben den Gleisen?
    Nigel setzte sich wieder. Die Hammersmith & City Railway - was für eine Linie war das heute? Sie befand sich noch in Betrieb, ging aber nicht nach Notting Hill Gate. Dahin fuhr die Central Line. Er meinte, die Circle und

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