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Das Erbe des Blutes - Roman

Titel: Das Erbe des Blutes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Bar zum Klub oder wurden auf ihrem Weg nach Hause aus der U-Bahn gespien. An einer in der Nähe liegenden Bushaltestelle standen Massen von Menschen. Aus den Autos dröhnte Musik, junge Paare lachten und stritten sich. Normalerweise vermied Nigel tunlichst, sich zu dieser Uhrzeit an einem Ort wie diesem aufzuhalten. Doch jetzt machte es ihm nichts aus. Er blieb ein paar
Sekunden stehen und fragte sich, welchen Weg er einschlagen solle. Abgesehen von einem Einsatzwagen, der ein paar hundert Meter weiter unten auf der Straße parkte, deutete nichts auf die Anwesenheit von Polizisten hin.
    Er ging Ladbroke Grove hinauf und unter der Bahnbrücke hindurch. Über ihm ratterte eine U-Bahn in die Station. Noch einmal hielt er an, um sich umzusehen. Nichts Ungewöhnliches. Er setzte seinen Weg fort, wohin er ging, wusste er nicht.
    Dann hörte er einen Schrei.
    Ein markerschütterndes, gequältes Schreien drang durch die Nacht. Zunächst dachte er, es handle sich um Handgreiflichkeiten unter Betrunkenen, aber es hörte nicht auf. Außer ihm schien niemand Notiz davon zu nehmen, oder alle hielten es für viel zu unspektakulär, um einzuschreiten.
    Nigel spürte, wie sein Blut in den Adern gefror.
    Der Schrei kam von rechts, hinter der U-Bahn-Station. Es gab eine kleine Gasse neben einer Bar. Die lief er hinunter. Der Bürgersteig verbreiterte sich zu einer Straße. Über ihm tauchte der riesige Westway auf. Der Verkehrslärm von dort oben war ein dumpfes Rauschen im Hintergrund. Doch das Schreien wurde noch lauter. Nigel beschleunigte seinen Schritt und begann zu rennen. Gut fünfzig Meter vor sich konnte er eine junge Frau mit weit ausgebreiteten Armen erkennen. Beim Schreien wand sie sich vor Anstrengung. Neben ihr parkte ein Wagen schräg über die Straße, mit offener Fahrertür und aufgeblendeten Scheinwerfern. Die Abgaswolke aus dem Auspuff zeigte, dass der Motor lief. Nigel eilte zu ihr.
    Die Frau sah ihn nicht kommen. Sie schrie einfach weiter. Als er bei ihr anlangte, wich sie zurück. Er hob die Hände,
um ihr zu signalisieren, dass alles in Ordnung sei. Er blickte sich um, konnte aber nicht sehen, weshalb sie schrie. Aus dem Schreien wurde ein Flüstern. Sie hielt die linke Hand nun vor den Mund, mit der Rechten deutete sie auf ein halb geöffnetes Garagentor, das die Scheinwerfer beleuchteten. Die dazwischen liegende Lücke blieb in Dunkelheit gehüllt. Nigel ging darauf zu. Das Einzige, was er sehen konnte, war ein Graffito auf dem Garagentor: »Fick Chelski«.
    Die Straße lag verlassen da. Nigel fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und beugte sich vor, um unter dem Garagentor durchzuschauen - zu dunkel. Die Frau begann zu schluchzen.
    Nigel richtete sich wieder auf, holte ein Taschentuch hervor, packte damit den Griff des Garagentors und hob Zentimeter für Zentimeter das Tor an, so dass die Autoscheinwerfer und der Lichtschein vom Westway das Innere der Garage mehr und mehr erhellten. Ein beißender Geruch aus Öl und Terpentin schlug ihm entgegen. Mit zunehmendem Licht wurden die Konturen einer Leiche sichtbar: eine junge Frau. Nigel ließ das Garagentor los und stellte noch einmal sicher, dass es nicht zufallen würde. Dann betrat er die Garage.
    Aus der Nähe konnte er sehen, dass sie blond war. Sie trug Jeans und eine bunte Hemdbluse, die aufgerissen war und blutige, verstümmelte Brüste erkennen ließ. Das Blut schien sich verdickt zu haben, es war gelatineartig geworden. Man hatte sie mit ausgestreckten Armen auf den Rücken gelegt. Nigels Augen wanderten zu ihrem Gesicht. Es war makellos und unberührt. Nur wo sich ursprünglich ihre Augen befunden hatten, klafften nun zwei gähnende Löcher; geronnenes Blut und Gallerte klebten in den leeren,
tief liegenden Augenhöhlen, die einen immer noch anzustarren schienen: hasserfüllt und schwarz.
    Nigel wusste, dass dieser Anblick ihm für immer im Gedächtnis bleiben würde, dass er vor seinem geistigen Auge auftauchen würde, sobald er nachts die Augen schloss. Er ging nach draußen und zog das Garagentor langsam herunter, als wollte er versuchen, wenigstens jetzt die Würde der jungen Frau so gut es ging zu wahren.
    Ein paar Leute hatten sich auf der Straße versammelt. Einer versuchte, die Frau zu beruhigen. Jemand anders telefonierte mit dem Handy.
    »Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, rief ein Farbiger.
    Innerhalb von ein paar Sekunden hatte sich die Zahl der Leute verdoppelt.
    Nigel nickte. Langsam setzte er sich auf den Boden vor

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