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Das Erbe des Blutes - Roman

Titel: Das Erbe des Blutes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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jüngerer Bruder Michael. Da ihr Tod nicht verzeichnet war, ging Nigel davon aus, dass sie überlebt haben mussten. Doch die Ergebnisse der folgenden Volkszählungen erwiesen sich als unergiebig. Bei beiden fand sich vor der Jahrhundertwende auch kein Eintrag einer Heirat.
    Er verließ das FRC und lief die Myddelton Street in Richtung Exmouth Market entlang, bog links in die Rosoman Street ein und erreichte dann an der Ecke zur Northampton Road die London Metropolitan Archives. Hier befanden sich zweiundsiebzig Kilometer Akten mit Aufzeichnungen über die Hauptstadt, ihre Einwohner und deren Leben, die bis 1607 zurückreichten. Noch relevanter war, dass hier auch die Dokumente der Poor Law Unions der Stadt aufbewahrt wurden, welche die Oberaufsicht über die Leitung der einzelnen Arbeitshäuser innehatten, in diesem Fall der St. Olave Poor Law Union.
    Er bestellte das Verzeichnis mit den Aufnahmen und Entlassungen. 1886 wurden alle fünf Mitglieder der Familie Hardie aufgenommen. Sie kamen aus freien Stücken. Die beiden kleinen Jungen waren unterernährt, Michael wurde als »schwachsinnig« bezeichnet. Nigel wusste genau, was passiert war. Wie viele der Armen hatten sie die institutionalisierte Plackerei und Sklaverei gewählt, um zu überleben. Maurice und Hannah schliefen wohl ebenso wie die Kinder in unterschiedlichen Schlafsälen und hatten nur sehr wenig Kontakt zueinander. Sie mussten Arbeitsuniform tragen, man weckte sie um sechs, dann folgte ein Tag mit niederen
Arbeiten, und spätestens um acht war Bettgehzeit. Einzig das Fehlen von Gitterstäben und Schlössern unterschied diese Orte von Gefängnissen. Den Menschen stand es frei zu gehen, wenn sie dies drei Stunden vorher ankündigten. Aber weshalb sollten sie das tun? Um zu sterben, auf den Straßen zu erfrieren? Sie waren Opfer ihrer Umstände.
    Nigel fragte sich, was Maurice dazu gebracht hatte, jegliche Hoffnung, für seine Familie aufkommen zu können, aufzugeben und sich um Almosen des Staates zu bemühen. Vielleicht eine Verletzung? Die Jungen waren noch nicht alt genug, um für den Unterhalt der Familie zu sorgen, und für junge Frauen wie Clara gab es nicht genügend Arbeit. 1888 hatte sie das Arbeitshaus verlassen. Möglicherweise glaubte sie in der Lage zu sein, das Schicksal ihrer Familie zum Besseren zu wenden. Doch ein Jahr später waren ihre Eltern und einer ihrer Brüder tot und wahrscheinlich in den billigsten Särgen, die es gab, in ein und dasselbe Armengrab gelegt worden. Am Tag nach Davids Tod erschien Clara, um den noch lebenden Bruder zu holen: Das war am 7. September 1889.
    Wo waren sie hingegangen? Nigel verbrachte zwei Stunden damit, die Aufzeichnungen jedes einzelnen Asyls in London durchzugehen. Michael tauchte nicht auf. Er musste bei Clara gelebt haben. Aber dann waren die beiden durch die Maschen gefallen.
    Draußen blendete ihn die spätnachmittägliche Frühlingssonne. Die Zeit war wie im Flug vergangen, er hatte Stunden auf das Ausgraben der Vergangenheit verwendet.
    Dann kam ihm eine Idee. Er wusste nicht woher, aber bei seiner genealogischen Arbeit hatte er gelernt, immer seiner Eingebung zu folgen. Er kehrte zum FRC zurück und rief geradewegs die Volkszählung von 1891 auf. Dann tippte er Clara Fairbairn sowie ihr Geburtsdatum ein.

    Und da war sie: Das Alter stimmte überein. Sie hatte den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen. Warum? Darüber konnte er nur Vermutungen anstellen. Um das Stigma des Armenhauses loszuwerden? Er klickte den Link an, um etwas über die anderen Mitglieder des Haushalts in Erfahrung zu bringen. Michael Fairbairn. Er lebte mit ihr in einem Haus in Bow, im Londoner Osten. Abgesehen von Michael waren sämtliche Hausbewohner junge Frauen: alle im Alter zwischen dreizehn und achtzehn. Clara war die Älteste. Nigel vermutete, dass es sich um eine Art Pension handelte. Als Berufsbezeichnung war Arbeiterin in der Zündholzherstellung angegeben. Zusammen mit dem Wohnort erklärte das alles: Sie war in der Bryant-and-May-Fabrik beschäftigt. Zwar hatte sie Arbeit gefunden, aber eine der schwersten und gefährlichsten:Vierzehn-Stunden-Tage, Redeverbot, Bestrafung, wenn Zündhölzer fallen gelassen wurden, und das Risiko, von dem allgegenwärtigen gelben Phosphor, den man bei der Herstellung der Zündhölzer verwendete, entstellt zu werden und an Krebs zu sterben.
    In der Volkszählung von 1901 war die neunundzwanzigjährige Clara als Dienstmädchen bei jemandem in Holland Park erfasst. Michael lebte

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