Das Erbe des Blutes - Roman
das Hochhaus wieder zum Leben. Die ersten Arbeiter verließen das Gebäude, die Nachtschwärmer kehrten heim. Heather wachte ebenfalls auf und füllte aus der Thermoskanne zwei Becher mit starkem Kaffee.
»Was machen wir?«, wollte sie wissen.
»Warten«, entgegnete er. »Mehr können wir nicht tun.«
Sein Telefon klingelte. Andy Drinkwater.
»Sie sind aber früh auf den Beinen«, sagte Foster.
»War gar nicht im Bett. Hat sich ziemlich was getan letzte Nacht. Gegen drei kam durch, dass sie in Terry Cables Garten ein Messer gefunden haben, das so ähnlich aussieht wie das, mit dem zwei der drei Opfer erstochen wurden. Unter den Rosensträuchern oder so. Ist jetzt in der Forensik.«
Eine Sekunde lang verschlug es Foster die Sprache. »Das ist doch vollkommener Quatsch«, stieß er dann hervor.
»Was meinen Sie damit? Ich erzähl Ihnen nur, was ich weiß.«
»Klar, Andy«, sagte Foster. »Aber ich wette meinen Arsch darauf, dass mit dem gefundenen Messer weder James Darbyshire noch Nella Perry erstochen wurden. Und wenn doch, dann hat es jemand im Garten vergraben, um ihm was anzuhängen.«
»Alle hier denken, es sei der Durchbruch«, murrte Drinkwater. »Bei Ihnen noch kein Anzeichen, dass irgendwas passiert?«
»Nein«, brummte Foster. Er wusste, dass mit jeder Minute, die verstrich, ohne dass ein viertes Opfer gefunden wurde, Harris und seine Mannen überzeugter davon wären, dass sie den Richtigen verhaftet hatten. Als er den Anruf beendet hatte, schüttelte er immer noch ungläubig den Kopf.
»Was ist los mit Ihnen?«, fragte Heather.
»Die Vergangenheit wiederholt sich tatsächlich.«
»Das hört sich etwas kryptisch an. Wovon genau reden Sie?«
»Sie wissen doch, dass es 1879 eine Reihe von Morden in Kensington gab. Die Meldungen überschlugen sich, die Einheimischen wurden unruhig, und die Bullen gerieten in Panik. Sie verhafteten einen Kerl, damit nicht noch mehr Kübel voller Scheiße über ihnen ausgeleert würden. Dann ging ihnen auf, dass sie besser dem Mann den Prozess machten, den sie als Verdächtigen auserkoren hatten. Und siehe da: In seiner Wohnung taucht ein Messer auf!«
»Das haben Sie mir doch alles schon erzählt.«
»Ja, aber was ich noch nicht erzählt habe, ist, dass genau zu dem Zeitpunkt ein Messer in Terry Cables Garten aufgetaucht ist, als die Presse wegen fehlender Anklagepunkte allmählich unruhig geworden ist.«
Er konnte sehen, wie Heather diese Mitteilung aufnahm: bereit, des Teufels Advokat zu spielen.
»Haben Sie schon mal daran gedacht, er könnte tatsächlich schuldig sein?«
»Klar. Hab ich aber verworfen. Nun kommen Sie schon, Heather. Sie sehen doch genauso gut wie ich, was hier vor sich geht. Die sind so verzweifelt, dass sie schon selbst von
seiner Schuld überzeugt sind. Nur weil er der einzige Verdächtige ist, heißt das aber noch lange nicht, dass er der Richtige ist. Niemand hat mir auch nur den Ansatz eines möglichen Motivs genannt.«
»Und was ist mit dem GHB?«
»Reiner Zufall: ein Detail, kein Motiv. Warum hat er diese Menschen umgebracht? Warum hat er ihnen Körperteile entfernt? Warum hat er sie an exakt den gleichen Stellen an exakt demselben Tag liegen lassen? Die haben keine Antworten auf diese Fragen. Wir wissen weshalb: Der Killer folgt einem Muster. Und aufgrund dessen, was 1879 während des Prozesses und danach geschah, kennen wir vielleicht sogar sein Motiv.«
»Die haben also einen Verdächtigen, aber kein Motiv. Und Sie haben ein Motiv, aber keinen Verdächtigen.«
»Ich weiß, in welcher Position ich lieber wäre«, brummte er.
»Sie hoffen, dass wir eine Leiche finden, oder?«, fragte Heather, drehte sich zu ihm und sah ihn mit einem Lächeln an. »Würde beweisen, dass Sie recht haben, wenn wir sie finden.«
»Nein«, entgegnete er. »Ich glaube , dass wir eine Leiche finden werden - das ist was anderes, als es zu wollen . Und vielleicht finden wir den Killer. Aber unsere Chancen stünden um einiges besser, wenn wir mehr Leute zur Verfügung hätten und nicht alle in sämtliche Himmelsrichtungen ausgeschwärmt wären und versuchen würden, einen schmierigen Typen anzuschwärzen, damit ihnen in den Zeitungen nicht die Scheiße um die Ohren fliegt.«
Sein Blick wanderte zurück zum Hochhaus. Drinnen gingen die Lichter wieder an.
Es wurde Mittag. Foster war noch immer vor Ort, wenn auch erschöpft vom Schlafmangel. Er hegte erste Zweifel, ob sich das Ganze überhaupt lohnte. Cable schien auf alle Fälle angeklagt zu werden.
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