Das Erbe des Blutes - Roman
Geräuschpegel fast um. Mitten im Raum stand ein kleines rundes Uhrenradio mit CD-Teil auf dem Boden. Das LCD-Display zeigte 12 Uhr 15 an. Davon abgesehen befand sich nichts weiter Bemerkenswertes im Raum. Eine schmuddelige Netzgardine reichte kaum über das ganze Fenster, durch das er die Umrisse der Londoner Innenstadt erkennen konnte. Er ging zum Weckradio, stülpte den Hemdsärmel über seine Hand und drückte den Aus-Knopf. Stille. Endlich.
Nun, wo er wieder richtig hören konnte, sah er sich um.
Es stank. Die weiße Velourstapete war fleckig und grau und mit Möbelrändern versehen. Auf der einen Seite befand sich die Küche. Er ging hinein, fand aber nur ein paar abgenutzte, veraltete Haushaltsgeräte.
Er kehrte zurück zur kleinen Diele und öffnete eine weitere Tür, aus der es intensiv feucht roch: das Bad. Doch es war nur das Tropfen des verkalkten Wasserhahns an der Badewanne. Er schloss die Tür wieder und öffnete die nächste.
Als Erstes schlug ihm der Gestank entgegen, den er zur Genüge kannte. Er ging von dem Einzigen aus, das sich im Raum befand: der Leiche einer Frau. Dem üblen Geruch nach zu urteilen war sie schon länger als vierundzwanzig Stunden hier. Sie lag, bekleidet mit einer Jeans und einem braunen Pulli, rücklings mitten im Raum. Um sie herum schwirrten Fliegen. Er zog ein Taschentuch hervor und hielt es sich vor die Nase; dann beugte er sich nach unten, um sie sich genauer anzusehen. Ihm fiel auf, dass sie keine Haare hatte.Von den Augenbrauen bis zum Scheitel sah man nur einen Fleischklumpen und die weiße Wölbung ihres Schädels.
Sie war skalpiert worden.
22
Edward Carlisle schüttelte den Kopf.
»Erinnert an den Wilden Westen«, sagte er, während er den freigelegten Schädel in Augenschein nahm. »Meiner Ansicht nach hat er die Haare hochgehoben - von dem, was am Hinterkopf noch übrig ist, zu schließen waren sie braun, ungefähr schulterlang -, dann hat er sie gedreht, mit der Messerspitze am Scheitel entlanggeschnitten und schließlich das Ganze abgezogen. Das wird’ne Weile gedauert haben.
Eins kann ich Ihnen aber versichern«, er blickte grimmig hoch, »von dem, was ich sehe, glaube ich, dass sie noch am Leben war, als er sie skalpiert hat.«
Foster vermochte es sich nicht vorzustellen, wie sich das angefühlt haben musste. Und er wollte es auch gar nicht. »Wie lange ist sie schon tot?«, fragte er.
»Seit zirka sechzig Stunden.«
Montag, schoss es ihm durch den Kopf.
»Und aufgrund des fahlen Rückens vermute ich, dass sie die ganze Zeit über hier gelegen hat, vielleicht bis auf ein paar Stunden«, fügte Carlisle hinzu. »Noch mal: Sie ist hier nicht gestorben, man hat sie post mortem hergebracht. Wieder gab es eine einzelne Stichwunde ins Herz, an der sie wohl gestorben ist. Skalpiert zu werden kann man überleben, insbesondere wenn es mit so viel Sorgfalt geschieht, wie das hier der Fall war.«
Der Killer hatte vorausgesehen, dass sie sich in der Nähe herumtreiben würden, dachte Foster. Deshalb brachte er sie hier rauf, bevor der Ort observiert wurde. Wieder war er ihnen einen Schritt voraus gewesen.
Mit einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn betrat Detective Superintendent Harris den Raum. »Wie lautet der vorläufige Befund?«, fragte er, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Sie wurde erstochen und skalpiert«, antwortete Foster.
»Skalpiert? Ach du meine Güte.«
»Sie ist seit Montagnacht hier. Wahrscheinlich hat man sie zu diesem Zeitpunkt getötet.«
Harris starrte auf den Boden. »Sind Sie sich sicher, was das Zeitliche angeht?«, wollte er von Carlisle wissen.
»So sicher, wie ich es sein kann.«
»Cable ist unschuldig, Brian«, sagte Foster. »Sie haben ihn
Montagnachmittag eingebuchtet. Er kann das hier nicht getan haben.«
Harris nickte langsam. Foster wusste, dass er gerade im Kopf durchspielte, wie das bei der Presse und den höheren Rängen von Scotland Yard ankommen würde.
»Das Messer haben Sie natürlich«, fügte Foster hinzu.
Harris rieb sich reuevoll am Kinn. »Aber nicht das, das bei den Morden benutzt wurde. Die Forensik hat das heute Morgen bestätigt.« Er stieß einen Seufzer aus. »Okay, er ist also noch da draußen. Ich hätte Ihnen hier mehr Rückendeckung geben müssen. Das ist mir jetzt auch klar.«
Foster wehrte mit erhobenen Händen ab. »Wäre sowieso zu spät gewesen, Brian. Er war uns voraus. Wir hätten die Leiche vielleicht früher gefunden, mehr aber auch nicht. Ein Umstand bleibt jedoch: Ein Mensch kann
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