Das Erbe des Blutes - Roman
die ganze Nacht rumstehen.«
»Klar«, sagte er. »Tut mir leid. Bin etwas benommen.«
Nigel drückte den Türöffner. Er hörte, wie die Eingangstür zufiel und sie langsam die Steinstufen hochstieg. Er öffnete die Wohnungstür. Als Heather an seinem Treppenabsatz ankam, sah er, dass sie eine Weinflasche in der rechten Hand hielt.
Er ließ Heather herein, und sie ging bis zum Wohnzimmer durch. Im Vorbeigehen roch er ihr Parfüm. Sie zog die Jacke aus und legte sie über eine Sofalehne.
»Seien Sie ein Schatz, und machen Sie die doch mal auf«, sagte sie, während sie ihm die in weißes Papier gewickelte
Weinflasche reichte. »Hab die ganze Woche kaum was getrunken, und so, wie die gelaufen ist, brauch ich jetzt ein Glas Wein. War eben bei dem Haus von einem der Fairbairns auf Ihrer Liste. Da war tote Hose. Ist gleich hier um die Ecke, und da hab ich mir gedacht, ich schau mal bei Ihnen vorbei.«
Nigel lächelte. Obwohl er erschöpft und nur nach Hause gekommen war, um sich ein paar Stunden aufs Ohr zu legen, freute er sich, sie zu sehen und ein Glas mit ihr zu trinken. Davor, am Morgen nach dem Mord an Nella Perry, schien ihr Besuch reine Routine gewesen zu sein. Das hier war anders. Zumindest fühlte es sich anders an. Einen kurzen Moment verfluchte er die Umstände - in wenigen Stunden würden beide wieder arbeiten müssen - und wünschte sich, es wäre ein ganz normaler Freitagabend, und sie könnten selbst über ihre Zeit bestimmen. Er ging in die Küche, kramte in einer Schublade mit losem Besteck, Dosenöffnern und anderen Gerätschaften, bis er einen funktionstüchtigen Korkenzieher fand.
»Wie sind Sie mit Ihrer Arbeit vorangekommen?«, fragte Heather, als sie hinter ihm im Türrahmen auftauchte.
»Gut«, erwiderte er und fluchte, weil der stumpfe Korkenzieher den Korken zerbröckeln ließ. Er drehte ihn wieder hinein und zog ihn dann langsam heraus, ohne allzu viel Kork im Wein zu hinterlassen. Dann nahm er zwei Weingläser, die zu seinen besten gehörten und nur selten benutzt wurden, aus dem Schrank, und reichte ihr eines davon.
»Auf dass wir den Killer innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden schnappen«, sagte sie und stieß mit ihm an.
Sie lächelte. Nigel gefiel es, wie das Lächeln ihr Gesicht belebte. Sie nahm einen kleinen Schluck, dann strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Wie gut ist gut?«, wollte sie wissen, als sie zum Sessel ging, sich setzte und die Beine unterschlug.
Nigel nahm auf dem Sofa Platz. »Na ja, Ellis wird sich schwer zurückverfolgen lassen, weil es ein sehr verbreiteter Nachname ist. Deshalb habe ich das erst mal hintenangestellt. Angefangen habe ich mit Darbyshire. Das ist etwas heikel, wegen der Schreibvarianten seines Namens: entweder mit einem a oder einem e. Aber ich habe es geschafft, bis ungefähr ins Jahr 1879 zurückzugehen. Sein direkter Vorfahre zur damaligen Zeit, sein Ururgroßvater also, war ein Typ namens Ivor Darbyshire, ein Zeitungsredakteur.«
»Von welcher Zeitung?«
»Das weiß ich noch nicht. In den alten Ausgaben von Who’s Who taucht er nicht auf. Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass es eine überregionale Zeitung war. Er lebte in Kensington. Ich dachte, dass er vielleicht die Kensington News redaktionell betreut hat. Dort wurde damals sehr viel Druck auf die Polizei ausgeübt.«
Heather nickte. »Darbyshires Hände wurden abgetrennt. Journalisten schreiben oder tippen mit der Hand, selbst wenn sie nichts als heiße Luft produzieren. Das würde einen Sinn ergeben.«
»Bei Nella Perrys Vorfahren hab ich wesentlich mehr rausbekommen.«
Heather zog einen Notizblock aus der Tasche.
»Ihr direkter Vorfahre war Stafford Pearcey, der Hauptzeuge in Fairbairns Prozess.«
»Bingo.«
»War gar nicht so einfach. Es gab keinen Hinweis, dass jemand namens Pearcey was mit der Familie zu tun hatte. Aber ich habe herausgefunden, dass Seamus Perry 1892 als uneheliches Kind zur Welt kam. Seine Mutter war Irin. Ihr
Name stand auf der Geburtsurkunde, der des Vaters fehlte jedoch. 1891 hab ich sie bei der Volkszählung gefunden: Niamh Perry. Sie war Stafford Pearceys Haushälterin.«
»War er verheiratet?«
Er nickte.
»So ein Schweinehund.«
»Wenigstens hat er sie nicht einfach billig abgespeist«, meinte Nigel. »Sieht so aus, als hätte er die Kosten getragen, damit Seamus auf die Eliteschule nach Harrow gehen konnte.«
»Und das Ergebnis sind die Perrys in Notting Hill. Ich frage mich, ob sie sich im Klaren darüber
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