Das Erbe des Blutes - Roman
sind, dass sie nur existieren, weil ihr Vorfahre etwas mit einer vom Personal hatte.«
»Ich glaube, ich weiß, warum Stafford Pearcey vor Gericht etwas ausgesagt hat, das Eke belastete«, fügte Nigel hinzu. »1893 starb er, im Gefängnis. Man hat ihn wegen Unterschlagung verurteilt. Möglicherweise hat er das jahrelang gemacht und entweder die Bullen geschmiert oder ihnen immer wieder einen Gefallen getan, wie im Fairbairn-Prozess.«
Heather schüttelte traurig den Kopf. Sie schwiegen eine Weile, während das Radio im Hintergrund lief. Normalerweise sagte Nigel in so einem Moment irgendetwas, weil er die Stille als unangenehm empfand. Jetzt jedoch nicht.
»Wenigstens wissen wir jetzt, was ihn dazu motiviert hat«, sagte Heather schließlich. »Wenn man sich wegen etwas rächen will, das vor mehr als hundertfünfundzwanzig Jahren passiert ist, und keine Zeitmaschine zur Verfügung hat, dann ist es naheliegend, die zu misshandeln und zu töten, die die Gene der Schuldigen in sich tragen.«
»Sie für die Sünden ihrer Vorväter bezahlen zu lassen«,
fügte Nigel hinzu. »Das hatte ich Foster vorher schon gesagt. Die Vergangenheit ist ständig präsent, vergraben oder verborgen, aber sie kommt immer ans Licht. Sie lässt nicht zu, dass man sie ignoriert.«
Ihr Glas war leer. Nigel füllte es nach. Seine Müdigkeit war verflogen, der Wein hatte seine Lebensgeister geweckt. Heathers Gegenwart ebenfalls. Als er aufschaute, starrte sie ihn neugierig an.
»Fragen Sie sich eigentlich, wann Ihre Vergangenheit ans Licht kommen wird?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte er matt.
»Ihre Familie. Als ich Sie mit Foster zum ersten Mal in dem Café traf, sagten Sie, man hätte Sie adoptiert. Dass Sie Ihre eigene Familiengeschichte nicht kennen würden.«
»Ja, manchmal denke ich, sie wird ans Licht kommen.«
Das war aber nur die halbe Wahrheit. Seine geheimnisvolle Vergangenheit beschäftigte ihn ständig. Als Experte in historischen Dingen hatte er unzählige erfolgreiche Recherchen von Ahnentafeln vorzuweisen. Doch der Umstand blieb, dass er nichts von der eigenen wusste. Eines Tages, das war ihm klar, würde sich das ändern.
»Ich dachte, wenn man adoptiert wurde, kann man die Unterlagen einsehen und die richtigen Eltern finden«, sagte Heather.
»Das kann man auch.«
»Aber Sie haben’s nicht getan?«
»Doch, hab ich.«
»Was ist denn dann passiert? Sorry, dass ich so neugierig bin.«
Er lächelte. »Schon in Ordnung«, sagte er. »Da gibt’s nicht viel zu berichten. Ich bekam die Adresse einer Frau, bei der sich herausstellte, dass sie tot war. Es gab keinen Nachweis
eines Vaters und niemanden, von dem ich etwas hätte erfahren können. Dabei beließ ich es dann. Wenn man seine Vergangenheit nicht kennt, hält einen das nicht davon ab, sein Leben zu leben. Manchmal ist das sogar hilfreich. Es gibt keinen Erfolg, an dem man sich messen lassen muss. Keine Fehler, die es zu vermeiden gilt. Das kann ziemlich befreiend sein. Aber trotzdem ist da immer das Gefühl, dass etwas fehlt; eine Lücke, und es gibt jede Menge unbeantworteter Fragen.«
Nigel nahm einen großen Schluck Wein. Heather sah ihn an und wickelte sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. Er ahnte, dass noch mehr Fragen kämen, doch das machte ihm nichts aus, weil er sich über ihre Aufmerksamkeit freute.
»Gibt’s bei Ihnen eigentlich Musik?«, wollte sie plötzlich wissen.
»Ich hab einen Plattenspieler«, antwortete er und sah sich in dem mit Bücher- und Zeitschriftenstapeln vollgestellten Raum um. »Irgendwo.«
»Wie bitte, Schallplatten? Ach du meine Güte, Nigel, Sie sind ja ein lebender Anachronismus.«
»Ich mag einfach alte Dinge. Heutzutage ist nichts auf Dauer ausgelegt; alles ist in null Komma nichts außer Mode. Massenweise produzierter Mist, der Unzufriedenheit schürt. Ich mag gut gemachte Dinge. Gegenstände, bei denen man sich vorstellen kann, wer sie angefertigt hat und wie derjenige zurücktritt und seine Arbeit bewundert.«
Er stand auf, ging hinüber zum Bücherregal und schob einen Stapel zerfledderter Monatszeitschriften beiseite, um einen verstaubten Plattenspieler freizulegen. Er klappte den Deckel auf.
»Der Arm ist zerbrochen«, sagte er und wedelte mit dem abgetrennten Teil herum.
»Ist ja lustig, so was passiert Ihnen mit einem CD-Player nicht«, meinte Heather.
Sie stand auf und ging zum Radio, um einen Sender zu suchen, der Musik brachte. Sie fand einen, der ein altes Soul-Lied spielte, das Nigel nicht
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