Das Erbe des Blutes - Roman
von der
Existenz ihres Ehemanns erzählt hat?«, fragte Heather voller Verachtung. »Diese Kuh.«
»Ja, nun. Offensichtlich hat sie sich gegen mich entschieden. Sie haben ihr dann einen Job an der Uni angeboten und, offen gesagt, war mir die Vorstellung, jeden Tag mit ihr zusammenzuarbeiten, nach allem, was passiert war, ziemlich unangenehm. Und dazu kam noch, dass es ein finanzielles Problem gab und der Studiengang in Familiengeschichte deswegen auf Eis gelegt wurde. Also bin ich gegangen.«
»Das haben Sie richtig gemacht.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin drüber weg, das nur so nebenbei.«
Sie hob die Augenbrauen. »Warum sagen Sie mir das?«
Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
Heather lächelte, dann wandte sie sich suchend nach ihrer Tasche um. »Hören Sie, Sie sehen fix und alle aus«, sagte sie. »Ich lass Sie jetzt mal in Ruhe, nicht dass Sie morgen über den Geburtsregistern einschlafen.«
Sie stand auf, Nigel ebenso.
»Sie sind der erste Mensch, dem ich das jemals erzählt habe«, erklärte er.
»Alles, was Sie sagen, kann aufgezeichnet und als Beweis gegen Sie verwendet werden«, antwortete sie.
Er war müde, aber er wollte nicht, dass sie ging. Ihre Gegenwart war wie Balsam für ihn. Er wusste, wenn er die Tür schloss und zu Bett ging, wäre da wieder das Bild von Nella Perry. Er würde schlaflos im Dunkeln liegen und spüren, wie das Blut durch seinen Körper pulsierte.
»Danke fürs Vorbeikommen«, sagte er.
Wieder schenkte sie ihm ein Lächeln.
»Ich mein’s ernst«, fügte er hinzu.
Sie blieb noch ein paar Sekunden an der Tür stehen. Nigel spürte das Verlangen, irgendetwas zu sagen oder zu tun.
»Kein Problem«, sagte sie, trat auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und küsste ihn auf die Wange. Ihre Lippen waren weich und berührten ihn nur flüchtig.
»Vielleicht können wir das wiederholen. Selbstverständlich erst, wenn der Fall abgeschlossen ist.«
»Fänd ich gut«, sagte sie und hängte sich die Tasche über die Schulter. »Und beim nächsten Mal geben Sie sich bitte ein bisschen Mühe, den Korken ordentlich aus der Flasche zu ziehen.«
24
Nigel gestand sich vier Stunden Schlaf zu und war nach fünf zurück im FRC.Vorangegangen war eine rasante Taxifahrt durch das frühmorgendliche London mit einem Fahrer, der sich offenbar vorgenommen hatte, eine Rallye zu fahren. Weil noch niemand da war, nahm er sich in der Kantine die Freiheit, ein paar Selbstgedrehte zu rauchen, um sich den Energieschub zu verpassen, den ihm der Kaffee aus dem Automaten nicht zu geben vermochte.
Aus seinen Notizen über die Ermittlungen und den Prozess arbeitete er heraus, dass es drei weitere Schlüsselfiguren gab, deren Nachkommen noch nicht zu Schaden gekommen waren: der schmierenkomödiantische Kronanwalt und MP John J. Dart, Joseph Garrett, der Fairbairns Verteidigung übernahm, sowie Detective Henry Pfizer von Scotland Yard.
Zunächst Dart. Nigel fragte sich, ob einer seiner Nachkommen kurz davor stand, aus Vergeltung für sein Geschwafel
Zunge und Leben zu verlieren. Er fand ihn auf Anhieb bei der Volkszählung von 1881. Der Siebenundvierzigjährige lebte in Bexley Heath, seinem Wahlkreis.
Heather gesellte sich zu ihm. Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. Innerlich seufzte er erleichtert auf. Er war sich nicht sicher gewesen, was - wenn überhaupt - der vergangene Abend bedeutet hatte, aber der Gedanke daran, sie wiederzusehen, verunsicherte ihn. Würde sie so tun, als ob nichts passiert wäre? Ihrem Lächeln nach war dem nicht so, doch ihr angespannter Blick bedeutete ihm, dass die Zeit knapp wurde und sie schnell arbeiten mussten. Er kehrte mit den Gedanken wieder zu seiner Aufgabe zurück.
Aufgrund seiner Prominenz war es nicht schwierig, Dart und seine Familie aufzuspüren. Der gesamte Clan schien seine Zeit mit Aufenthalten in den Häusern auf dem Land und in der Hauptstadt zu verbringen. Er brauchte den ganzen Morgen, aber dann hatte er eine Liste der Nachkommen erstellt. Heather faxte sie zum Lageraum, so dass die Namen überprüft und der Aufenthaltsort der Nachkommen eruiert werden konnte.
Nigel machte eine Pause. Heather verschwand, um zu telefonieren. In der Kantine sprach ihn Dave Duckworth an.
»Mr. Cable war also unschuldig«, sagte er, vergrub seine Hände in den Taschen und wippte auf den Schuhsohlen vor und zurück.
»Sieht ganz so aus.«
Duckworth starrte ihn an. »So ein Mist, die Hintergrundrecherche hatte sich grade als lukrativ
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