Das Erbe des Bösen
dass Rolf genau in diesem Tenor zu ihr gesprochen hatte, als sie Anfang der Fünfzigerjahre in ihrer ersten Ehekrise steckten. Damals war ihm nach und nach klar geworden, was Ingrid während des Krieges an ihrem Institut getan hatte. Rolfs Reaktion war eine riesige Enttäuschung für Ingrid gewesen. Sie hatte geglaubt, er würde sie verstehen. Aber nein. Der erste Eindruck ihres Vaters von seinem Schwiegersohn hatte sich doch als richtig erwiesen. Pappa, wie sie ihren Vater nannte, hatte Rolf 1943 bei einem Besuch in Berlin kennengelernt. Er war in einem Luxushotel einquartiert worden, das die SS für ihre Ehrengäste reserviert hatte, und traf mit den wichtigsten, für die Rekrutierung im Ausland zuständigen Stellen der SS zusammen. Auf seinem Besuchsprogramm stand aber auch eine Visite am Institut, und dort lernte er Professor von Verschuer und Doktor Mengele kennen. Mit ihnen unterhielt er sich lange über das Rassenproblem in Schweden und über Zwangssterilisationen, bei denen man weitgehend den deutschen Leitlinien folgte.
Pappa war noch immer ein wenig gekränkt gewesen, weil zur Hochzeit seiner Tochter nicht einmal die Eltern eingeladen worden waren, und Ingrid hatte alle Mühe, ihm zu erklären, dass während des Krieges die meisten Ehen in Deutschland so geschlossen wurden wie ihre: in aller Schnelle auf dem Standesamt, nur in Gegenwart der obligatorischen Trauzeugen. Das war die moderne Welt: Zeit war Geld und fürs Erste war es mit großen kirchlichen Hochzeiten vorbei.
Zum Glück fand Pappa trotz seines dichten Besuchsprogramms zwischendurch Zeit für ein Mittagessen mit Rolf. Aber was hieß zum Glück . . . Ingrid hatte Rolf nämlich noch nie so mürrisch gesehen wie später am Abend desselben Tages – und sogar noch Wochen danach.
Auf ihre Frage, ob etwas nicht in Ordnung sei, hatte Rolf zunächst geschwiegen und sich erst nach langem Insistieren bereit erklärt, sich über das Essen mit seinem Schwiegervater zu äußern.
»Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wenn du an meiner Stelle einen Norweger geheiratet hättest. Dann hätte dein Vater |274| einen Schwiegersohn, in dessen Adern das reinste arische Blut Europas fließt. Zum Donnerwetter!«
»Ach Gottchen! Was immer Pappa auch gesagt haben mag, er hat es nicht böse gemeint, Liebling. Er gibt selbst zu, dass er manchmal zu schnell denkt und ihm alles Mögliche herausrutscht, bevor er sich seines Urteilsvermögens entsinnt und an die Regeln des Anstands erinnert. Er hat doch wohl nicht wirklich gesagt, dass ihm ein norwegischer Schwiegersohn lieber wäre als ein finnischer?«
»Nicht mit diesen Worten«, entegnete Rolf. »Aber ansonsten troff alles von dem ewigen schwedischen Geschwätz über die mongolischen Finnen. In sein Referat hat er sogar stramme Prozentzahlen darüber eingebaut, inwieweit der Epikantus, also diese Mongoloidenfalte am Auge, in der finnischen Bevölkerung auftritt und so weiter und so fort . . . Das ist doch unfassbar, wenn einem erwachsenen Mann kein besseres Gesprächsthema mit seinem eigenen Schwiegersohn einfällt!«
»Wie gesagt, Pappa kann in seinem Übereifer manchmal etwas gedankenlos sein. Im schlimmsten Fall unhöflich, aber unter der Oberfläche hat er ein gutes Herz. Und nur damit du es weißt: Als ich ihm am Telefon sagte, dass wir heiraten, lautete sein einziger Kommentar, ›ein Finne soll mir recht sein, wenn er meiner Tochter als Vater ihrer Kinder recht ist und von den Deutschen als reiner Arier anerkannt wird‹.«
»Was für ein romantischer Umgang mit dem Thema«, schnaubte Rolf. »Mir hast du gesagt, er habe nur wissen wollen, ob es in den Familien meiner Eltern Erbkrankheiten gegeben habe.«
»Aber das hat mich doch selbst interessiert! Und für Pappa ist die Eugenik eben eine Herzensangelegenheit.«
Das entsprach der Wahrheit. Anders Stormare war schon in den Zwanzigerjahren an der Gründung einer Stiftung beteiligt gewesen, die nach dem amerikanischen Modell Stipendien für die besten wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Eugenik vergab.
|275| »Wir Europäer können es uns einfach nicht leisten, immer mehr unfähigen Nachwuchs zu produzieren«, sagte Ingrid.
Das Verhältnis zwischen Rolf und Pappa wurde auch später nicht besser. Zum Glück war Erik dann von Anfang an Pappas Augenstern. Viele Sommer lang wusste der Junge nichts Schöneres als die Angelausflüge mit seinem »Opa« auf dem Mälarsee. Jeden Herbst schien der schwedische Wortschatz des Jungen innerhalb weniger Wochen
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