Das Erbe des Bösen
mehr verfügt als versiegende Gas- und Ölvorräte.«
Oberst Woronin merkte, dass die Stimme auf der Kassette immer kräftiger geworden war, nachdem der Sprecher auf das Thema gekommen war, das ihn unüberhörbar faszinierte. Auch die Zuhörer am Tisch lauschten gebannt Narvas Ausführungen.
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»Präsident Bush benannte Helium- 3-Experten für das Beratungskomitee der NASA. Die NASA wiederum ließ Russland überraschend bei dem neuen Mondprogramm außen vor, dessen Ziel darin bestand, bis zum Jahr 2024 eine dauerhafte Kolonie auf dem Mond zu gründen. Letzte Woche sprach ich mit einem ehemaligen Kollegen und erfuhr, dass Lockheed Martin bei dem Helium- 3-Projekt der USA stark engagiert ist.
Der Interpretation der Russen zufolge wollen die Vereinigten Staaten alle anderen Nationen an den Rand drängen und das Monopol für das Helium-3 auf dem Mond für sich gewinnen. Darum wird Russland, wie die russische Weltraumbehörde
Roskosmos
und der Raketenhersteller
NPO Energia
verlauten lassen, bis zum Jahr 2015 einen ständigen Stützpunkt auf dem Mond errichten . . .«
Die Vertreter der betreffenden Institutionen sahen einander an und machten sich Notizen.
»Und im Gegensatz zu den Amerikanern sprechen die Russen offen über das vorrangige Ziel ihres Mondprogramms, nämlich den Abbau von Mineralien, insbesondere von Helium-3. Dessen Transport zur Erde soll spätestens von 2020 an in industriellem Maßstab organisiert und durchgeführt werden. Das vom Kreml protegierte Unternehmen
Gazprom
unterstützt das Vorhaben.
Den größten Energiemangel wird es freilich in China geben. Darum will das Land bis 2020 auf dem Mond sein. Auch die Chinesen haben offen als wichtigsten Grund ihres Vorhabens die Rohstoffvorkommen auf dem Mond angegeben, allen voran Helium-3 . . .«
Erik begriff, dass die Kassette jeden Moment zu Ende sein würde. Das Geheimnis, das sein Vater preisgab, berührte nicht nur die Geschichte, sondern auch Gegenwart und Zukunft. Dadurch erschienen |519| die Versuche unbekannter Männer, die Kassette zu zerstören oder ihrer habhaft zu werden, mit einem Mal beängstigend logisch.
»Das Ganze ist extrem wichtig und sehr vielversprechend, Erik. Auch Deutschland und Indien schicken ihre eigene Sonde auf den Mond, mit der Absicht, die Abbaubarkeit von Helium-3 zu erkunden. Aus sechs Tonnen Helium-3 lässt sich genügend Energie gewinnen, um den Jahresenergiebedarf von Großbritannien zu decken. Aber entscheidend ist, herauszufinden, wie das Helium-3 auf dem Mond verteilt ist. Darum ist das Mondgestein mittlerweile auch in konkreter Hinsicht wertvoller, als wir es uns je haben vorstellen können. In den USA gilt es als äußerst weitsichtige Entscheidung, das echte Mondgestein ausschließlich unter der Verfügungsgewalt der Vereinigten Staaten behalten zu haben. Allein die Erkenntnis, dass die Mineralien, die für Mondgestein gehalten wurden, in Wahrheit gar nicht vom Mond stammten, wäre zum Beispiel für die Russen äußerst wertvoll im Hinblick auf die Berechnungen, die sie für ihr neues Mondprogramm anstellen.«
Erik trat beim Zuhören an eines der Regale, das er mit Büchern vom Fußboden gefüllt hatte. Und da war es, zwischen allen anderen: ›Return to the Moon: Exploration, Enterprise and Energy in the Human Settlement of Space.‹
Rückkehr zum Mond. Erik las den Text auf der Rückseite sorgfältiger als bei seinem letzten Besuch. Harrison H. (Jack) Schmitt war der letzte Astronaut, der den Mond besucht hatte und als einziger von ihnen ein Mann der Wissenschaft, nämlich Geologe. Das Buch handelte von seiner derzeitigen Lebensaufgabe, der Beschaffung von Helium-3 vom Mond. Noch einmal las Erik die Widmung:
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Für Rolf, am 14. 2. 2007 – die alten Zeiten kommen nicht wieder, aber neue, gute Zeiten liegen vor uns . . . Jack.
Nachdenklich legte Erik das Buch aus der Hand. Sein Vater würde die neuen Zeiten nicht mehr erleben.
»Was fehlt noch? Aufgeschreckt durch den Druck von Katharina und den Russen stieg ich bei der NASA aus und landete mit vierundfünfzig Jahren bei der Firma Lockheed, mit der ich zu NAS A-Zeiten viel zusammengearbeitet hatte. Ende der Siebzigerjahre interessierten sich die Amerikaner zusehends mehr für die Vergangenheit der in Deutschland angeworbenen Wissenschaftler. Ingrid und ich, wir waren nervös, nicht zuletzt deswegen, weil wir nicht wollten, dass du in der ›New York Times‹ die Wahrheit über unsere
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