Das Erbe des Greifen
ist wertvoll genug, um es gegen ein Königreich zu tauschen. Schon damals, als ich die Sera Meliande das erste Mal sah, fragte ich mich, wer sie wohl sein mag, dass sie solche Waffen besitzt … Nein«, korrigierte sich der Radmacher. »Damals fragte ich mich, wer sie einst gewesen sein mag, denn sie stand ja noch unter diesem Bann. Dann verschwand sie, und einige der Hüter gaben das, was von ihrem Leben übrig war, um sie von den Toten zurückzuholen.« Seine stahlgrauen Augen musterten Hernul eindringlich. »Ich bin nicht blind, mein Freund.«
»Aber du hast uns nichts gesagt.«
»Pulver auch nicht.«
»Und dennoch bist du gegen sie eingestellt?«
»Bin ich das?«, fragte der Zwerg bedächtig. »Ich weiß nicht, ob es so ist. Ich misstraue Barden allgemein. Es ist ihr Broterwerb, Geschichten zu erzählen. Und nicht jede davon ist wahr.«
»Sie ist eine Bardin?«
»Meliande vom Silbermond. So hat sie sich uns vorgestellt, erinnerst du dich?«
Hernul nickte. »Ja, ich erinnere mich.«
»Ich sage damit nicht, dass sie gelogen hat … und warum sollte nicht auch eine Prinzessin die Kunst des Bardentums ausüben. Aber wenn es so ist, dann weiß sie um die Macht der Worte und die Wirkung ihres Lächelns. Dann lernte sie, Vertrauen und Freundschaft zu gewinnen. Sowohl das Wort als auch Vertrauen sind Waffen, die schärfer sind als jedes Schwert.«
»Hhm. Also weißt du nicht, ob du ihr vertrauen kannst?«
»Vertraut Pulver ihr?«
Hernul rollte die Augen. »Ich weiß es nicht. Es kommt mir aber so vor. Was ist eigentlich mit dir und Pulver? In letzter Zeit scheint ihr mir in vielen Dingen über Kreuz zu liegen. Ihr seid doch noch länger befreundet als wir … wart ihr nicht sogar zusammen auf Reisen? Was wirfst du ihm vor?«
»Der Rat soll über die Geschicke Lytaras entscheiden, ist es nicht so? Vielleicht war sie es sogar«, er wies mit seinem Humpen auf Meliande, »die es einst so bestimmte. Doch in der letzten Zeit ist es mehr und mehr Pulver, der die Entscheidungen trifft. Pulver und seine verfluchten Argumente. Es klingt so richtig, was er sagt, so vernünftig und überlegt … und doch waren es seine Argumente, die Argor in den Tod schickten und deine Kinder in die Gefahr. Aber den eigenen Sohn behielt er wohlweislich bei sich und verbot ihm jedes Abenteuer.«
»Das wirfst du ihm vor?«, fragte Hernul überrascht. »Du denkst, er habe seinen Sohn auf Kosten unserer Kinder schonen wollen? Aber hör mal, Ralik, du kennst doch Astrak. Selbst Vanessa könnte ihn mit nur einer Hand besiegen, so dürr wie er ist. Er ist kein Kämpfer, doch er hat den Geist und Verstand seines Vaters … und ich bin überzeugt, er wird sich in Alt Lytar noch als Hilfe erweisen.«
»Mag sein«, knurrte Ralik. »Aber eines sollst du wissen. Ich lebe nun schon viele Jahrhunderte. Und in all meinen Jahren habe ich nie jemand kennen gelernt, der gerissener ist als Pulver. Ich weiß nicht, wie er es schafft, aber selbst ich unterschätze ihn regelmäßig. Wäre er nicht mein Freund, und so sehe ich ihn ja immer noch, hätte ich vor ihm mehr Angst als vor Belior.«
»Angst vor Pulver?«, fragte Hernul überrascht.
»Auf unseren Reisen war das Gold hier und da etwas knapp. Er hatte so ein Spiel dabei, Schach hieß es, und er wettete, dass ihn niemand darin schlagen könne … und tatsächlich ist das auch nie geschehen. Mehr als einmal half uns sein Talent, die Zeche und das Nachtlager zu zahlen. Außerdem kenne ich ihn schon lange genug und weiß, dass er etwas vorhat. Er verfolgt einen Plan, Schritt für Schritt …«
Ralik musterte den Humpen vor sich auf dem Tisch. »Hernul, er benutzt uns als Spielsteine, das ist es, was ich ihm vorwerfe! Seit wir angegriffen wurden, war jeder unserer Schritte von ihm vorgeplant. Nur den Staudamm … an den hat er nicht gedacht!«
»Hhm«, machte Hernul. »Hast du von diesem Kriegsmeister gehört? Dem Kronok in den Roben, der Graf Lindor angeblich als Berater zur Seite gestanden hat? Die Gefangenen erzählten von ihm.«
»Ja«, sagte Ralik. »Ich habe davon gehört. Was ist mit ihm?«
»Nun, dieser Kronok soll ein Planer gewesen sein, ein Meister der Strategie. Vermutlich ist er bei der Flutwelle umgekommen, aber es soll noch mehr von ihnen geben. Sie alle dienen Belior.«
»Ja und?«
»Wenn du mit allem Recht hast, bin ich froh, dass es Pulver ist, der all unsere Züge plant. Wie du schon sagtest, er hat noch nie verloren. Glaube mir, er wird einen Grund dafür haben, die Hüterin in
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