Das Erbe des Greifen
Talent zu verlieren und uns im Kampf gegen Belior nicht mehr beistehen zu können?«, fragte Pulver beeindruckt, nachdem sein Sohn geendet hatte. »Das ist tapfer von ihr. Ich wüsste nicht, wie ich handeln würde, wenn ich so entstellt wäre wie sie.«
»Sie ist nicht entstellt«, protestierte Astrak. »Sie ist wunderschön … nur eben anders als wir. Und doch wieder nicht. Ich … ich glaube, ich habe mich in sie verliebt, Vater!«, platzte es aus ihm heraus.
»Für meinen Gott sind alle gleich, die ihn verehren«, sagte Barius bedächtig, als er sah, dass Pulver seinen Sohn sorgfältig musterte. »Und ich weiß, Mistral sieht das ähnlich.«
Pulver schüttelte lächelnd den Kopf. »Das ist es nicht. Astraks Enthusiasmus macht mich skeptisch. Aber warten wir ab, was daraus wird. Ich bin jedenfalls gespannt, Lenise und ihren Begleiter, diesen Schreckenswolf, kennen zu lernen. Er ist mit einem menschlichen Geist beseelt, nicht wahr?«
»Ja«, gab Astrak zurück. »Er liest sogar Gedichte. Ich habe die anderen noch nicht kennen gelernt, Vater, aber Lenise und ihr Schreckenswolf wirken nicht entstellt, sondern … nun, auf ihre Art sind sie perfekt. Ich kann es nicht anders erklären … es ist nichts falsch an ihnen. Sie sind einfach anders.«
»Du kannst stolz auf deinen Sohn sein«, meinte Barius an Pulver gewandt, und während Astrak den Priester verblüfft ansah, lachte Pulver. »Das musst du mir nicht sagen, Barius. Ich bin stolz auf ihn. Fast schon zu sehr!« Er wandte sich wieder an seinen Sohn.
»Ich will diese … Menschen gerne treffen. Du schlägst also vor, ich soll zum Tempel kommen? Gut, dann werde ich das tun.«
»Am besten, du gehst noch heute, Vater.«
»Es ist schon Abend, Junge. Warum die Eile? Gibt es einen besonderen Grund?«
»Nun … es gibt noch mehr zu berichten.«
»Dann spann uns nicht auf die Folter!«
Als Astrak von dem letzten Eintrag im Buch der getöteten Hohepriesterin berichtete, nickte Pulver nur nachdenklich, doch er schien nicht überrascht zu sein.
»Ich habe so etwas vermutet«, sagte er schließlich. »Ich fand eine Münze mit den Porträts der königlichen Zwillinge. Mir fiel sofort die Ähnlichkeit der Prinzessin mit Meliande und des Prinzen mit dem Porträt von Kanzler Belior auf den Münzen aus Thyrmantor auf.«
»Belior? Der gleiche Belior, der damals die Priesterinnen töten ließ? Belior, der Prinz von Lytar?« Astrak schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie gelang es ihm, dem Tod zu entrinnen und so lange zu überleben?«
»Das ist unmöglich«, protestierte Barius.
»Vielleicht konnte er sein Leben auf ähnliche Weise verlängern wie Ihr?«, mutmaßte Astrak, doch auf Barius’ Gesicht malte sich Widerspruch.
»Ich bin dem Tod nicht entkommen. Ich verweile nur ein wenig länger auf dieser Welt, so lange, bis mein Schwur erfüllt ist. Aber Belior? Unmöglich.«
»Wieso? Wenn Meliande dem Untergang entkommen konnte, warum nicht auch er?«
»Weil ich ihn eigenhändig erschlug«, verkündete Barius mit harter Stimme. »Ihr wisst, welchem Gott ich diene, mein Herr steht ein für Ehre und Gerechtigkeit.«
Pulver und Astrak nickten.
»Es war folgendermaßen«, fuhr der Priester fort. »In der schicksalsträchtigen Nacht kam Prinzessin Meliande völlig aufgelöst zu mir und bat mich um Hilfe für Ariel und Sera Farindil, die beiden elfischen Gesandten. Dann führte sie mich in ihre Gemächer. Ariel lag auf dem Bett wie tot, es war mir nicht möglich, ihm zu helfen. Aber die Hohepriesterin der Mistral war eine begnadete Heilerin, wir hofften, sie könnte ihn retten. Ich tat für ihn, was ich konnte, aber in meinen Augen war er verloren, meine Sorge musste nun den Lebenden gelten. Also kümmerte ich mich um Sera Farindil, die übel zugerichtet war. Doch sie lebte noch und war sogar bei Besinnung, wenn ihr Geist auch etwas getrübt war. Sie erkannte mich, und doch schreckte sie vor mir zurück, als ich sie baden wollte. Sie bat darum, dass eine Frau ihr dabei helfen möge, und forderte mich auf, ihre Klage anzuhören. Ich trat zurück, und ein Leinentuch wurde zwischen uns gespannt, was sie zu beruhigen schien. Eine der Zofen der Prinzessin wusch sie und versorgte ihre Wunden, während wir auf die Priesterin der Mistral warteten. Eine bessere Behandlung hätte ich der Sera Farindil auch nicht geben können. Denn ihre eigentliche Wunde klaffte nicht in ihrer Haut, sondern tiefer, in der Seele und im Herzen der Sera. Während sie sich schrubbte, als fürchtete
Weitere Kostenlose Bücher