Das Erbe des Greifen
Ihre Menschenkinder an. Ein neues Reich entstand, das erste unter den Menschenreichen. Hier, Freunde«, sagte Barius mit belegter Stimme, »zu Füßen der Göttin, ruhen Haupt und Herz Darkoths des Dunklen.« Er sah mit gequältem Blick zu Elyra. »Ich will mich vergewissern, dass der dunkle Gott nicht entkommen ist, sondern immer noch in Banden liegt.«
»Oh«, sagte Pulver leise. »Ich verstehe …«
»Da seid Ihr schneller als ich«, bekannte Elyra mit rauer Stimme. Sie wandte sich an Barius. »Ihr wisst, wo Er liegt, Diener des Loivan?«
»Es ist in den Schriften meines Herrn überliefert, denn Loivan stand Mistral in diesem Kampf bei.« Er sah Elyras Blick und lächelte sanft. »Ihr werdet mit Sicherheit Aufzeichnungen dazu finden, Elyra«, sagte er leise. »Dieser Tempel ist der älteste Eures Glaubens, und er enthält all das Wissen, das in Äonen gesammelt wurde. Es könnte nur ein wenig dauern, bis Ihr es Euch angeeignet habt.«
»Gut«, sagte Elyra mit fester Stimme. »Dann werden wir gehen und nachsehen, ob die Fesseln Ihn noch halten. Denn wenn nicht …«
» … haben wir schlechte Karten«, ergänzte Pulver trocken. »Nun gut. Es aufzuschieben ergibt keinen Sinn, sehen wir uns diesen Gott also an.«
»Ihr nicht«, widersprach Barius leise und wandte sich an Elyra. »Es heißt, nur ein Priester, der stark im Glauben ist und unter dem Schutz seines Gottes steht, könne einem anderen Gott ins Antlitz schauen, ohne dem Wahnsinn zu verfallen.«
Elyra nickte und sah die anderen an.
»Wartet hier … wir sind so schnell es geht zurück.« Ihr Lächeln wirkte etwas unsicher, als sie weitersprach. »Es scheint mir, Ihr habt Recht, Meister Pulver, die Situation duldet keinen Aufschub, wir müssen es sofort herausfinden.«
Pulver nickte nur, dann sah er zu Astrak und Lenise hinüber, die etwas abseits beisammenstanden, und er bemerkte, dass sein Sohn Lenises Hand hielt.
»Wir warten hier, Elyra«, bekräftigte Pulver und ließ seinen Blick durch den Tempel schweifen. »Es gibt hier noch genug zu tun, und sei es erst mal nur, mit dem Besen durchzukehren.«
Als sich die schwere Tür unter dem Altar mit einem lauten Krachen hinter Barius und Elyra schloss, fröstelte es die junge Priesterin. Bislang hatte sie die Freude darüber erfüllt, den Tempel Mistrals wieder für alle öffnen zu können, doch jetzt, da sie wusste, wer zu ihren Füßen begraben lag, fühlte sie auf einmal eine namenlose Angst, und sie begann zu zweifeln, ob sie dem allem gewachsen war.
Barius schien das bemerkt zu haben, denn er legte ihr tröstend seine gepanzerte Hand auf die Schulter.
»Verzagt nicht, Elyra«, sagte er sanft. »Ihr wäret nicht hier, und die Tore hätten sich nicht für Euch geöffnet, wenn die Göttin es nicht gewollt hätte. Habt Vertrauen in Sie.«
»Das habe ich«, flüsterte Elyra und zog ihre Robe enger um sich zusammen.
»Wie gelangt man hinunter in die Katakomben?«, fragte sie dann.
»Ich kann Euch sagen, was in den Schriften meines Glaubens darüber steht.«
»Ja, sagt es mir bitte.«
Barius nickte und begann aus den Schriften zu zitieren. Mit einem Mal hatte seine Stimme einen seltsamen Widerhall, der Elyra noch mehr frösteln ließ.
» … Und so sprach Sie zu Ihrem Bruder Loivan, dem Herrn der Gerechtigkeit: ›Und siehe, ich schlage den Unheilsbringer in sieben Teile. Die will ich begraben unter dem Siegel des Wissens. Sein Haupt und sein Herz aber sollen zu meinen Füßen liegen. In Licht will ich seine Dunkelheit ketten, im Glauben gegen ihn bestehen. So ist das Wissen das Schloss zu seinem Gefängnis und der Glaube der Schlüssel, der es öffnet. Mit meinem Mantel wappne sich die Sterbliche, die vor ihn tritt, mein Licht trage sie im Herzen, und meinen Willen führe sie aus. Nur sie, die dergestalt gewappnet, geläutert und gesalbt ist, wird imstande sein, das Gefängnis des Dunklen zu betreten, nur sie wird imstande sein, ihm ins Antlitz zu sehen und seinem Willen zu widerstehen. Doch nehme sie sich in Acht vor Falschheit und Verrat, vor Hass und dunklen Begierden. Denn auch sie vermögen das Schloss zu öffnen und ihn zu befreien.« Für einen Moment schien seine Stimme noch nachzuhallen, dann atmete er tief durch und sprach mit normaler Stimme weiter. »Das ist alles, was ich Euch sagen kann, Elyra.«
»Es ist genug«, antwortete sie gepresst. »Mehr als genug. Ich bin nicht die, die dem dunklen Gott gegenübertreten kann. Ich bin weder gesalbt noch gewappnet, geschweige denn
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