Das Erbe des Greifen
restlichen Soldaten ohne Umschweife ins Hafenbecken warf. Selbst wenn einer von ihnen noch gelebt hätte, wäre es nun sicherlich um ihn geschehen, denn die schwere Rüstung zog die Glücklosen unerbittlich in die Tiefe. »Wie vermögt Ihr nur so zu wüten! Wer, bei der Göttin, seid Ihr?«
Garret sah kurz zum Hafenmeister hinüber und hielt ihm dann sein Schwert hin, sodass er die Schneide sehen konnte. »Wir sind Leute, die etwas dagegen haben, erschlagen zu werden. Wir haben uns nur gewehrt.« Er wandte sich Tarlon zu und klopfte ihm auf die Schultern. »Ohne dich wäre es sicherlich anders ausgegangen.«
»Sie standen günstig«, sagte Tarlon bescheiden und runzelte dann die Stirn. »Musstest du den Dieb erschießen?«
»Es war notwendig«, antwortete Garret. Er sah zu Vanessa. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete Tarions Schwester schwer atmend. »Meiner Schulter geht es gut.« Doch sie war so bleich wie Kreide und zitterte am ganzen Leib. Garret trat an sie heran und umarmte sie.
»Es war notwendig«, wiederholte er leise. »Umgekehrt hätten sie auch nicht gezögert.«
»Ich weiß«, sagte Vanessa leise. »Es ist nur … eben lebten sie noch, und jetzt sind sie alle tot. Wir haben sie erschlagen. Hier …«, sagte sie leise und hob ihre linke Hand, die rot beschmiert war. »Ich habe Blut an meinen Händen.«
»Sie haben uns angegriffen, Vanessa«, warf Tarlon mit rauer Stimme ein. »Garret hat Recht, sie hätten genauso wenig gezögert.«
»Ich habe noch nie zuvor einen Menschen getötet«, flüsterte Vanessa. Sie sah mit weit geöffneten Augen zu Garret hoch. »Es ist so komisch«, sagte sie dann.
»Wir hatten keine andere Wahl«, meinte Garret sanft und presste sie enger an sich. »Wir …«
»Das meine ich nicht«, sagte sie und löste sich aus seiner Umarmung. »Ich warte darauf, dass ich mich schlecht fühle.
Aber das geschieht nicht. Ich bin nur froh, dass ich selbst noch lebe. Eigentlich müsste ich mich doch schlecht fühlen, oder?«
»Darüber können wir uns unterhalten, wenn der Krieg vorbei ist«, beschied Tarlon und wandte sich an Frese. »Was haben diese Glocken zu bedeuten?«
»Es ist der Alarm der Burg. Sie wird angegriffen«, antwortete Frese. »Ich frage mich nur, von wem!«
»Von Lindors Regiment, würde ich meinen«, erwiderte Tarlon.
»Aber wie konnten sie so schnell unsere Wälle überwinden?«
»Das brauchte er wohl kaum, schließlich habt Ihr seinen Soldaten freien Zutritt zur Stadt gewährt«, versetzte Garret trocken und wies auf den königlichen Soldaten, den er mit der Armbrust erschossen hatte. »Der hier kam wahrscheinlich auch einfach so durchs Stadttor spaziert.«
Er sah Vanessa und Tarlon an. »Was machen wir nun?«
»Wir müssen zurück zum Gasthof«, bestimmte Tarlon. »Ich brauche meine Axt.«
»Und ich meinen Bogen«, ergänzte Garret. Er sah auf das Hafenbecken. »Wenigstens sieht es so aus, als ob die Sera Bardin in Sicherheit wäre.« Die anderen folgten seinem Blick und sahen, wie das Ruderboot neben einem elegant geschwungenen Schiff längsseits ging und die Bardin mit einem der Männer an Bord kletterte. Kurz darauf kam der Mann wieder zurück, und auf der »Samtschwalbe« wurden die Ruder ausgebracht.
»Der Kapitän scheint einverstanden zu sein«, stellte Frese fest. »Sie rudern wieder aufs offene Meer hinaus.« Er wandte sich an die drei Freunde. »Eure Freundin ist in Sicherheit. Tut ihr nun, was ihr zu tun vermögt.«
»Und was ist mit Euch?«, fragte Vanessa.
Frese lachte. »Ich werde schauen, ob ich noch in meine Rüstung passe, dann laufe ich zur Burg hinauf. Berendall wurde noch nie erstürmt, und auch heute wird das nicht geschehen. Ich weiß nicht, was sich Lindor dabei gedacht hat, aber es war ein großer Fehler!«
Dunkle Mächte
»Die schließen das Tor«, rief Garret, als sie sich der Stadtmauer näherten. »Lauft!« Er rannte schneller. »Lasst uns noch durch!«
Einen Moment schien es, als ob ihn die Wache am Hafentor nicht hören würde, doch dann hielt sie inne und winkte die Freunde heran.
»Beeilt euch!«, rief er ihnen zu. Schwer atmend zwängten sich Tarlon, Vanessa und Garret durch den Spalt, dann zog der Soldat der Stadtwache die mächtigen Torflügel zu, legte zwei schwere Riegel vor und trat zurück.
»Weg vom Tor!«, befahl er ihnen, und die Freunde wichen zurück, im nächsten Moment fiel das schwere Fallgitter mit lautem Gerassel und einem heftigen Schlag herab. »Und nun macht, dass ihr
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