Das Erbe des Greifen
hinüber. Der hielt sich eine klaffende Kopfwunde und sah ebenfalls mehr tot als lebendig aus.
»Ein Priester hat sie entführt«, antwortete Tarlon mit rauer Stimme und stemmte sich in eine aufrechte Sitzposition.
»Dann werden wir sie befreien«, schwor Garret. »Und wenn ich den Schrein Darkoths eigenhändig dem Erdboden gleichmachen muss!« Er wischte sich das Blut aus den Augen. »Ich werde das nicht zulassen! Vanessa wird nicht auf dem Altar enden!«
»Sers«, sagte der eine Soldat. »Ich weiß nicht, ob es Euch weiterhilft, aber bevor er verschwand, zeigte der Priester auf die Burg, als würde er befehlen, sie dorthin zu bringen. Es gibt in der Stadt keinen Schrein des dunklen Gottes. Außerdem schien er fasziniert von Euren Schwertern. Er hat sie beide an sich genommen.« Der Soldat wischte sein blutiges Messer ab und hielt Tarlon die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. »Wenn Ihr mich fragt, ich glaube, er ließ die Frau zu Lord Daren bringen, der hat sich in der Burg eingenistet. An den Schrein gelangt er ohnehin nicht, denn alle Stadttore sind verriegelt und in unserer Hand.«
»Also ist die Burg von den dunklen Priestern besetzt«, folgerte Tarlon, während er vorsichtig aufstand. Er fühlte sich zerschlagen und erschöpft, sein Atem rasselte in seiner Brust, und der Schmerz in seiner Seite pochte. Kein Grund, sich zu beschweren, dachte er, dafür, dass ein Speer ihn durchbohrt hatte, ging es ihm vorzüglich!
»Lord Daren ist es gelungen, in die Burg einzudringen. Ich beweine aber, dass er schon die ganze Anlage besetzt hält.«
»Und Lindor belagert die Mauern?«, fragte Garret mühsam. »Götter«, fügte er dann hinzu, »wie haben wir ihn unterschätzt!«
»Das ist das Seltsame«, entgegnete der Soldat. »Soviel ich weiß, werden die Stadtmauern nicht belagert. Lindor ist mit seinem Regiment im Lager geblieben.«
Garret verzog schmerzhaft das Gesicht, als ein anderer Soldat seine Wunde mit einem weißen Leinentuch verband. »Wir werden nicht belagert?«, fragte er überrascht. »Niemand versucht die Tore zu öffnen?«
»Nein, niemand«, sagte der Soldat. »Aber …« Er wies er nach oben, und Garret folgte seinem Blick. Hoch am Himmel, weit außerhalb der Reichweite von Bögen oder Armbrüsten, kreiste Lindors Drache. »Der da bereitet uns Sorgen.«
»Verständlich«, stimmte ihm Garret mit rauer Stimme zu. Noch während er nach oben sah, schwenkte der Drache zur Seite und flog in Richtung Burg davon.
»Ich brauche meinen Bogen immer dringender«, meinte er dann zu Tarlon. »Lass ihn uns holen, und dann gehen wir zur Burg.«
»Entschuldigt, Ser, aber das wäre nicht sehr klug«, meinte der Soldat, der Garret den Kopf verband. »Ihr wollt die Burg doch nicht allein stürmen? Wartet doch, bis wir sie zurückerobert haben. Wir werden bald mit dem Ansturm beginnen!«
»Dann könnt Ihr uns ja den Rücken decken«, sagte Garret mit einem blutrünstigen Grinsen.
»Ihr seid von allen guten Göttern verlassen«, antwortete der Soldat kopfschüttelnd. »Seht euch doch an, ihr könnt beide kaum laufen.«
»Wenn ich mir die hier so ansehe«, meinte Garret und wies auf die toten königlichen Soldaten, denen gerade Waffen und Rüstungen abgenommen wurden, »dann glaube ich kaum, dass uns die Göttin verlassen hat!« Er sah zu Tarlon hinüber. »Also, was meinst du, alter Freund? Sollen wir vernünftig sein und warten, bis die Stadtwache Vanessa befreit hat?«
Tarlon sah zuerst ihn an, danach die Toten, dann wanderte sein Blick zum Trutzturm der Burg, der in der Ferne zu sehen war. »Ich brauche meine Axt.«
»Nicht weit von ihnen entfernt fing der Tag für Meister Knorre und Argor etwas geruhsamer an, doch so blieb es natürlich nicht …«
»Ich habe mich schon gefragt, was mit ihnen ist«, sagte Lamar lächelnd.
»Dann solltet Ihr mich nicht ständig unterbrechen«, ermahnte ihn der alte Mann, doch auch er lächelte dabei.
Falscher Zorn
Entweder lag es an den vorzüglichen Heilungsküsten der Sera Leonara oder an Argors eiserner Gesundheit, auf jeden Fall traf Knorre den jungen Zwerg am späten Morgen des nächsten Tages unten in der Küche an, wo er sich mit sichtlichem Appetit einem reichhaltigen Frühstück widmete. Sina war auch dort, doch sie aß eher spärlich, dafür befragte sie Argor umso ausführlicher über das Dorf Lytara und die Menschen, die er dort kannte, und auch über das, was in den letzten Wochen dort vorgefallen war.
»Ihr habt also gar nicht gewusst, dass sich
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