Das Erbe des Greifen
Situation erinnerte, und entspannte sich nur mit Mühe. »Aber ich konnte es einfach nicht. Und so nahm das Unglück seinen Lauf. Ich habe im entscheidenden Moment versagt.«
»Das glaubst du nur«, widersprach Ariel mit belegter Stimme. »Unter den strahlenden Lichtern dieser Stadt warst du der Stern, dem alle folgten. Und wenn du den Moment, von dem du sprachst, genutzt hättest, um deinen Bruder zu erschlagen, wärest du nicht mehr der Stern gewesen, den sie verehrten. Du bist dir treu geblieben, ich hingegen … Vielleicht habe ich deshalb deine Liebe verloren.«
»Das weißt du nicht«, lächelte sie. »Dir und Farindil mag ein Jahrhundert kurz erscheinen, für uns Menschen ist es jedoch eine Ewigkeit … Wir haben also noch genug Zeit zusammen, und mit der Göttin Gunst vielleicht sogar Zeit genug für eine neue Liebe.« Sie strich ihm über die gemalte Wange. »Ich muss gehen«, sagte sie leise. Er nickte nur. Noch einmal strich sie ihm zum Abschied über die Wange, lächelte wehmütig und wandte sich dann ab.
Hund sah ihr nach, als auch sie in der Dunkelheit verschwand, und lief zu seinem Herrn zurück.
»Was meinst du, Hund«, flüsterte Ariel und bückte sich, um ihm den Hals zu kraulen. »Weiß sie, dass wir gelogen haben?«
Hund hob seine kalte Schnauze, winselte leicht und versuchte die Feuchtigkeit, die unter der Maske hervortrat, abzulecken.
»Lass nur, es tut gut«, flüsterte Ariel und vergrub sein Gesicht im Fell des treuen Tieres.
»Also kannten sie sich bereits aus der Zeit vor der Katastrophe. Dieser Ariel, der Elf mit der Maske, und die Bardin, sie waren Geschwister?«, fragte Lamar gespannt. Der alte Mann nickte. »Für den jeweiligen Prinzen oder die Prinzessin Lytars haben die Elfen ihrerseits im Gegenzug immer eine Prinzessin oder einen Prinzen ihrer Nation geschickt. Und nachdem es sich im Fall Lytars diesmal um Zwillinge handelte, dachte die Elfenkönigin, dass es besser wäre, ebenfalls ein Geschwisterpaar zu entsenden. Es wäre praktisch gewesen, nicht wahr? Prinz und Prinzessin, Prinzessin und Prinz.« Der Geschichtenerzähler zog seine Pfeife aus dem Wams und stopfte sie gemächlich, während seine Augen in die Ferne sahen. »Doch die Welt ist nicht so gestrickt. Ares und Meliande verliebten sich ineinander, sie lagen nach dem Brauch der Elfen beieinander, und die Göttin segnete sie sogleich mit Zwillingen. Als die Katastrophe über Lytar hereinbrach, war Meliande bereits im ersten Monat schwanger, was sie allerdings noch nicht wusste.«
»Also war Meliande, die Hüterin des Depots, in Wahrheit jene letzte Prinzessin von Lytar?«, wollte Lamar erstaunt wissen.
»Ihr habt es jetzt erst erraten?«, lachte der alte Mann und zog an seiner Pfeife, um den Rauch dann nach oben zu blasen. Seltsam, dachte Lamar, er hatte gar nicht gesehen, wie der alte Mann seine Pfeife angezündet hatte.
»Ich ahnte es«, entgegnete Lamar, »war mir aber nicht sicher. Aber warum wollte sie nicht, dass die Leute aus dem Dorf dies erfuhren?«
»Was meint Ihr, Lamar, wenn Ihr für einen Tag König wäret, und genau an diesem Tag würde Euer Reich untergehen und sich der Zorn der Götter über Eure Untertanen ergießen, wäret Ihr dann wohl darauf erpicht, es jedem zu sagen?« Der alte Mann zog an seiner Pfeife und runzelte die Stirn. »Ich vermute einmal, dass sie sich schämte und sich selbst die Schuld am dem Kataklysmus gab. Manchmal sind Menschen so … nun, damals ahnte jedenfalls nur einer von uns etwas von diesem mitternächtlichen Treffen zwischen dem Barden, Ariel und der Hüterin, und er behielt es für sich. Aber auch an einem anderen Ort trafen sich alte Freunde wieder.« Er schmunzelte. »Nur lief deren Wiedersehen nicht ganz so gesittet ab wie das erste …«
Das Haus der Freuden
»Hier wohnt Eure Freundin?«, rief Argor erstaunt aus, der in keiner Weise erwartet hatte, dass Knorre in besseren Kreisen verkehren könnte. Doch das Gebäude, auf das Knorre jetzt zusteuerte, war ein elegantes und vornehm wirkendes Stadthaus. Überhaupt war Argor mehr als beeindruckt.
Zwar hatte er Alt Lytar bereits gesehen und war von der Ausdehnung der zerstörten Stadt überwältigt gewesen, doch in Berendall waren die Häuser noch intakt und bewohnt, und kaum eines von ihnen besaß weniger als zwei Stockwerke. Eng und dicht aneinandergebaut, waren die Gassen zwischen ihnen meist nur schmal, so dass es Argor vorkam, als ob er noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen hätte. Was ihn
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