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Das Erbe des Greifen

Titel: Das Erbe des Greifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl A. DeWitt
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gelitten, Meliande, geblutet und … gehasst. Sie hasst die Menschen mit einer Inbrunst, die sogar mich erschreckt. Du weißt gar nicht, was du ihr damit angetan hast.«
    Meliande sah ihn mit weit geöffneten Augen an.
    »Es tut mir leid«, sagte sie dann leise. »Aber das wusste ich nicht. Ich hielt es damals für das Beste. Sie ist deine Schwester, und sie liebt Kinder.«
    »Sie sagte mir, als ich sie weinend in den Armen hielt, dass es zu viel sei, von ihr zu verlangen, dass sie nicht hasst!«
     
    »Das, Ares, ist nicht ganz richtig«, hörten sie die Stimme der Bardin, die nun aus der Dunkelheit heraus zu ihnen trat. »Es gab eine Zeit, da war es so. Aber das ist lange her. Wie kann man Kinder hassen, die einen lieben?« Sie ließ ihre schlanke Hand über den verwitterten Stein gleiten.
    »Die Göttin mit dir, Schwester«, lächelte Meliande. »Hast du also auch den Weg hierher gefunden?«
    »Ihr habt euch oft genug hier getroffen, damals, als an dieser Stelle noch Apfelbäume wuchsen und keine verdorbenen Früchte.« Die Bardin lächelte ebenfalls, aber es war ein schnelles, flüchtiges und zugleich schmerzliches Lächeln. »Es mag sich seitdem vieles geändert haben, aber manche Dinge bleiben dennoch gleich.« Die Bardin blickte Meliande nun direkt in die Augen. »Aber Ares irrt. Ich hasse die Menschen nicht mehr, nur den einen. Doch ich fürchte sie und ich fürchte dich.«
    »Glaubst du wirklich, dass es dafür einen Grund gibt?«, fragte Meliande sanft.
    Die Bardin seufzte, dann schüttelte sie den Kopf.
    »Nein, Meliande, es gibt keinen Grund. Ich weiß es mit meinem Verstand und meinem Herzen. Doch ich sah auch, wozu Menschen fähig sind … und ich weiß um deine Macht.« Sie legte die Arme schützend um ihren Oberkörper und schien auf einmal zu frösteln. »Du kannst gewiss nichts dafür, aber jedes Mal, wenn ich in deine Augen sehe, sehe ich gleichzeitig auch Ihn.«
    »Sprechen wir über etwas anderes«, schlug Ariel vor. »Was also wirst du Mutter sagen?«, fragte er seine Schwester.
    »Die Wahrheit, in Gänze. Und ich werde sie um Hilfe bitten. Für die Menschen aus dem Tal und für uns.« Sie sah Meliande an. »Ich meinte, was ich vorhin sagte«, fügte sie hinzu.
    »Also hasst du die Menschen nicht mehr?«, fragte Meliande sanft.
    »Manche werde ich bis zu meinem letzten Atemzug verfluchen, Meliande. Doch nicht alle. Und selbst wenn ich sie noch hassen wollte, könnte ich es nicht mehr. Nicht nachdem ich deine letzte Worte gehört habe. Ja, ich habe gehört, was du soeben gesagt hast. Und wenn du damit Recht hast, dann ist ein jeder hier mit dem heiligen Baum der Elfen genauso verwandt wie mit der Göttin. Wusstest du, dass ich hier stand und euch zuhörte?«
    »Wir wussten es beide«, sagte Ariel, und sie konnten fast ein Lächeln in seiner Stimme hören. »Hund hat dich gerochen. Und Meliande …«
    »Hat ihre eigenen Geheimnisse«, lächelte die Bardin. Sie musterte die Hüterin. »So also siehst du die Erben des Greifen? Als deine Kinder?«
    »Als unsere Kinder«, antwortete Meliande sanft. »Ich beneide dich darum, dass du sie kennen lernen und durch die Jahre hindurch begleiten konntest.«
    Plötzlich lachte die Bardin laut auf und ließ die anderen überrascht innehalten.
    »Weißt du noch, Ares, was ich damals sagte, als wir hierher kamen?«
    »Du hast so manches gesagt.«
    Sie nickte und ließ ihren Blick über die mitternächtlichen Ruinen gleiten.
    »Ich sagte damals, dass wir unsere Pflicht tun und es ertragen müssten, für sechzig oder siebzig Jahre bei diesen Menschen zu leben, und dass wir danach nach Hause gehen und sie vergessen würden. Was bedeuteten schon siebzig Jahre für uns?«
    »Ich erinnere mich. Wir waren jung damals. Wir wussten es nicht besser.«
    »Jetzt sieh uns an«, fuhr die Bardin bewegt fort. »Wir sind jetzt alt geworden. Diese Steine hier haben uns über die Jahrhunderte hinweg verfolgt. Das, was war, hat uns auf ewig gebrandmarkt. Ich wollte nie Kinder … und doch hatte ich Hunderte.« Erneut stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Wie soll man Kinder hassen, Ares? Ich war euren Zwillingen eine gute Mutter, es war für mich nicht das Opfer, das du befürchtet hast, Bruder. Was mir das Herz brach, war vielmehr zu sehen, wie sie alt und grau wurden, wie sie starben … und es dauerte lange, bis ich verstand, dass sie immer wiederkamen, ich immer wieder von Neuem in ihre Gesichter sah. Dass sie zwar anders hießen, aber die gleichen Augen und das gleiche

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